Anfechtung im Insolvenzrecht

Anfechtung im Insolvenzrecht

von: Wolfram Henckel

Walter de Gruyter GmbH & Co.KG, 2008

ISBN: 9783899495379

Sprache: Deutsch

724 Seiten, Download: 3126 KB

 
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Anfechtung im Insolvenzrecht



II. Rechtshandlung (S. 8-9)

1. Begriff und Arten der Rechtshandlung

Der Begriff der Rechtshandlung, den das Gesetz in den §§ 129–133, 135–136, 138, 140–141 und 147 einheitlich verwendet, ist im weitesten Sinne zu verstehen.9 Er umfasst zunächst alle Rechtsgeschäfte, insbesondere Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte, auch Grundschuldzweckerklärungen10 sowie Zahlungen des Schuldners mittels Lastschrift, der sich dabei seines abbuchenden Kreditinstituts bedient,11 auch Beschlüsse eines Gesellschaftsorgans.12

Rechtshandlung ist also der weitere Begriff gegenüber den in §§ 132, 133 II, 134 und 140 verwendeten des Rechtsgeschäfts, des Vertrages oder der unentgeltlichen Leistung. Rechtshandlungen sind darüber hinaus aber auch die rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen des materiellen Rechts, wie zB die Anzeige einer Abtretung nach § 409 BGB und andere rechtsscheinbegründende Anzeigen, die Genehmigung einer zwischen dem Alt- und dem Neuschuldner vereinbarten Schuldübernahme (§ 415 BGB) und Verwendungen auf eine fremde Sache oder auf den Anteil eines Miteigentümers. 15 Auch Realakte kommen als Rechtshandlungen in Betracht, wie etwa die Verbindung von Sachen des späteren Insolvenzschuldners mit Sachen eines anderen Eigentümers, die diesem Miteigentum (§ 947 I BGB) oder Alleineigentum (§§ 946, 947 II BGB) verschafft, oder die Verarbeitung (Rn 218 ff), auch die Handlungen, mit denen ein Sicherungsnehmer Sicherungsgut an sich bringt, das der Schuldner im Besitz hatte,16 ferner Unterlassungen (§ 129 II).

Zu den Rechtshandlungen gehören schließlich auch die Parteiprozesshandlungen, zB Anerkenntnis, Klageverzicht, Klage- und Rechtsmittelrücknahme, Geständnis und Parteihandlungen in der Zwangsvollstreckung (zur Anfechtung des Erwerbs durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung s § 133 Rn 9). Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen eines Geschäftsunfähigen sind nach § 105 I BGB nichtig bzw unwirksam. Sie führen deshalb regelmäßig keine Wirkungen herbei, die durch die Anfechtung beseitigt werden könnten.17 Dasselbe gilt für unwirksame Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen des beschränkt Geschäftsfähigen (§§ 106ff BGB).

Zum Verhältnis von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit allgemein: Rn 251ff. Realakte dagegen lösen die gesetzlichen Wirkungen auch dann aus, wenn sie von einem Geschäftsunfähigen vorgenommen worden sind. Diese Rechtshandlungen des Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen können deshalb stets angefochten werden. Dasselbe gilt für Prozesshandlungen des Prozessunfähigen, wenn sie anfechtbare Wirkungen auslösen. So ist die Pfändung, die auf (unwirksamen) Antrag eines geschäftsunfähigen Gläubigers vorgenommen worden ist, wirksam.18 Ihre Wirkungen können grundsätzlich durch Anfechtung beseitigt werden.

Allerdings kann das Rechtsschutzbe dürfnis für eine Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters fehlen, weil er die Aufhebung der Pfändung auf dem einfacheren Weg der Erinnerung (§ 766 ZPO) gegen den fehlerhaften Vollstreckungsakt erreichen kann. Nicht zu den Rechtshandlungen gehören Rechtsänderungen kraft Gesetzes, die ohne Zutun des späteren Verfahrensschuldners oder des Anfechtungsgegners eintreten.

Die Anfechtbarkeit ist für jede Rechtshandlung selbständig zu prüfen und festzustellen. Ob die Gläubiger durch eine Rechtshandlung benachteiligt sind, kann sich nur aus den Folgen gerade dieser Rechtshandlung ergeben. Andere Rechtshandlungen sind in die Beurteilung nicht einzubeziehen, auch dann nicht, wenn sie gleichzeitig vorgenommen worden sind oder sich wirtschaftlich ergänzen.20 Die Pfändung einer Forderung und nachfolgende Zahlung des Drittschuldners sind zwei selbständig anfechtbare Rechtshandlungen und stellen keinen einheitlichen mehraktigen Erwerbsvorgang dar.

Die Anfechtung beider Rechtshandlungen muss aber nicht ausdrücklich erklärt werden. Ausreichend ist, dass das Klagebegehren und der vorgetragene Sachverhalt erkennen lassen, dass der Verwalter die aus der Forderungspfändung erlangten Vorteile zur Masse ziehen will. Ob Rechtshandlungen verschiedener Gläubiger einheitlich beurteilt werden dürfen, wenn sie rechtlich oder wirtschaftlich als identisch anzusehen sind, ist bisher nicht entschieden worden.

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