Karl R. Popper

Karl R. Popper

von: Jürgen August Alt

Campus Verlag, 2001

ISBN: 9783593400211

Sprache: Deutsch

168 Seiten, Download: 2195 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Karl R. Popper



Einleitung


Vor etwa 2500 Jahren begannen einige Philosophen damit, über die menschliche Erkenntnis nachzudenken. Sie stießen dabei auf ein Problem, das seither viele Menschen – nicht nur Experten – beschäftigt:

Wie gewinnen wir Erkenntnisse, die völlig sicher sind – Erkenntnisse, auf die wir uns wirklich verlassen können? Wer das Problem so formuliert, macht sich auf die Suche nach Entdeckungsverfahren oder letzten Begründungen, mit deren Hilfe die Menschen unfehlbar die Wahrheit, d.h. richtige, bewiesene Erkenntnisse erreichen sollen.1 Ein solches Unternehmen mag verlockend sein, denn es kommt dem verbreiteten Streben nach Sicherheit entgegen.

Tatsächlich wurden im Laufe der Jahrhunderte auch verschiedene Vorschläge gemacht, wie es gelingen könnte, mit Sicherheit zur Wahrheit zu gelangen. Im ersten Kapitel werden wir einen solchen Vorschlag – und zwar einen empiristischen – näher kennenlernen und sehen, wie Popper damit umgeht.

Als Karl Popper in den zwanziger Jahren seine philosophischen Ansichten zu entwickeln begann, fand er in etwa die folgende Problemsituation vor:

  1. Die Wissenschaften, vor allem die Naturwissenschaften, schreiten scheinbar unaufhörlich fort. Es war für Popper offensichtlich, dass das Wissen über die Welt zugenommen hat und noch weiter zunimmt, dass echte Erkenntnisfortschritte zustandekommen.

  2. Andererseits scheint die Suche nach einem Fundament der Erkenntnis bislang erfolglos gewesen zu sein. Zum Beispiel wurde die Idee, die Wissenschaft mit Hilfe induktiver Methoden auf unumstößliche Erfahrungen zu bauen, durch David Humes Kritik erschüttert (vgl. Kap. 1). Obwohl die Wissenschaft so beeindruckende Theorien entwickelt, die es uns ermöglichen, die Welt nicht nur besser zu verstehen, sondern auch zu verändern, existieren weder Methoden noch überzeugende Kriterien, die uns in die Lage versetzen, sichere Erkenntnisse zu produzieren bzw. die Wahrheit von Theorien zweifelsfrei festzustellen.

  3. Außerdem hat sich herausgestellt, dass sogar die wohl erfolgreichste Theorie, diejenige Isaac Newtons (die klassische Physik), ihre Schwächen hat. Zweihundert Jahre konnte man glauben, sie sei absolut richtig; doch Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenphysik zeigen, dass Newtons Theorie hypothetisch ist und nicht jeder Kritik standhält.

Angesichts dieser Situation formulierte Popper die folgende Frage:

Wie sind Erkenntnisfortschritte überhaupt möglich, wenn uns kein Fundament zur Verfügung steht, das uns Sicherheit gibt? Die Antwort auf diese Frage ist der Kerngedanke, die zentrale These der Philosophie Poppers, des kritischen Rationalismus: Wir benötigen kein Fundament, um Erkenntnisfortschritte zu machen. Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Theorien, die unsere Erfindungen, unsere hypothetischen Konstruktionen sind, möglichst strengen Prüfungen unterziehen.

Das Streben nach Sicherheit, die Suche nach einer wahrheitsverbürgenden Instanz, war ein Irrweg. Alle unsere Erkenntnisse haben den Status von Hypothesen. Dieser nach wie vor aktuelle Grundgedanke Poppers, der im ersten und zweiten Kapitel noch genauer herausgearbeitet wird, spielt in vielen Teilen seiner Philosophie eine wichtige Rolle.

Ein philosophisches Problem – so Popper – interessiert alle denkenden Menschen: nämlich die Welt zu verstehen, zu der wir und unser Wissen gehören. Wer eine philosophische Aufgabe so allgemein formuliert, muss sich nicht nur für alle wissenschaftlichen Disziplinen interessieren, die ja Beiträge zum Verstehen der Wirklichkeit leisten, sondern auch für Politik, Kunst und Religion sowie für Ideologien, die uns verheißen, die Wahrheit über die Welt gefunden zu haben. Tatsächlich verbrachte Popper sein Leben damit, Ideen zu einem besseren Verständnis der Welt vorzutragen. Sein umfangreiches Werk enthält Texte zur Wissenschaftstheorie, zur Mathematik, zur Physik, zur Psychologie, zur Biologie und zu weiteren Disziplinen. Andere Teile seines Schaffens handeln von der Ethik und der Theorie der Demokratie. Manche Arbeiten setzen sich mit Weltanschauungen (z. B. dem Marxismus) und verbreiteten Alltagsannahmen auseinander, denen viele Menschen mehr oder weniger blind folgen. Popper bemühte sich stets darum, Brücken zwischen Wissenschaft, Ethik, Politik und Kunst zu bauen. Leitgedanken, wie die eben erwähnte Kernthese der Popperschen Philosophie, halfen ihm dabei, die verschiedenen Bereiche seines Denkens zu verknüpfen. Manche seiner Ideen waren mehr, andere weniger erfolgreich. Poppers einflussreichste Leistungen sind vermutlich die fallibilistische Erkenntnistheorie und die Beiträge zum politischen Liberalismus.

Geboren wurde Popper 1902 in Wien. Nachdem er vorzeitig das Gymnasium (ohne Abschluss) verlassen hatte, hörte er Vorlesungen an der Universität. Auffallend ist, dass er sich gleichzeitig mit Disziplinen auseinander setzte, zwischen denen es in der wissenschaftlichen Praxis kaum Berührungspunkte gibt, etwa mit Psychologie und Physik. 1922 begann Popper eine Lehre als Tischler und machte als Externer sein Abitur. Er studierte auch Kirchenmusik und bestand 1924 die Lehrerprüfung, die ihn berechtigte, an Primarschulen zu unterrichten. Weil keine Stelle frei war, arbeitete er ein Jahr als Horterzieher. 1925 erhielt Popper seine Zulassung als Student am Pädagogischen Institut der Stadt Wien, das von Karl und Charlotte Bühler geleitet wurde. Popper engagierte sich für die sozialdemokratisch inspirierte Reformpädagogik – er gehörte also zu den »Schulbolschewisten«, wie die Vertreter der christlich-sozialen Opposition zu sagen pflegten. Auch die »Erziehungs- und Schulorganisation der Katholiken Österreichs« lief Sturm gegen die reformpädagogischen Bestrebungen. Insbesondere das selbstorganisierte Lernen lehnten sie ab, weil sie die »Schulzucht« bedroht sahen. Es war gerade dieser Aspekt der Reformpädagogik, den Popper so überzeugend fand. 1928 promovierte er bei dem Psychologen Karl Bühler, und ab 1930 arbeitete er als Hauptschullehrer.

Sowohl seine Argumente zugunsten der »Arbeitsschule« als auch seine Auseinandersetzung mit dem Philosophen Moritz Schlick in der Dissertation zeigen, dass Popper zu diesem Zeitpunkt Thesen vertrat, die seine spätere Philosophie prägen. So kritisiert er beispielsweise die Assoziationspsychologie, die das Gedächtnis des Menschen (und anderer Lebewesen) als einen »Stoffbehälter, eine Art Zuber für den Wissensstoff« missversteht (Popper 1931). Popper argumentierte für eine, wie wir heute sagen, kognitive Lerntheorie. Während dieser Zeit pflegte er Kontakte zu Mitgliedern des Wiener Kreises, der von Moritz Schlick (etwa 1923/24) gegründet wurde. Der logische Positivismus, den diese Philosophengruppe entwickelte, unterzog Popper einer gründlichen Kritik (Diss, GE, LdF); insbesondere hielt er es für falsch, nach einem Fundament der Erkenntnis zu suchen, auf dem wir unsere Theorien errichten können. Die Themen seiner Dissertation beschäftigten Popper bis zum Ende seines Lebens. Allerdings betrachtete er sie – etwa ab 1930 – nicht mehr aus der Perspektive eines (an Biologie interessierten) Psychologen, er vollzog vielmehr eine Wende zur Methodologie. Nun war er ein Philosoph, der Logik und Wissenschaftstheorie betrieb. Auf diese neue Orientierung folgte Anfang der sechziger Jahre ein Rückgriff auf die Evolutionstheorie, in deren Lichte er fortan die Probleme seiner Dissertation diskutierte – und viele, viele andere Probleme, die nach und nach sein Interesse weckten. Im Laufe dieser Zeit machte Popper Karriere. Er avancierte zu einem der einflussreichsten Philosophen unseres Jahrhunderts. 1937 quittierte er den Dienst als Lehrer und emigrierte mit seiner Frau nach Neuseeland, wo er an der Universität in Christchurch unterrichtete. 1946 wurde er außerordentlicher Professor an der London School of Economics, 1949 Professor für Logik und Wissenschaftstheorie an der Universität von London. Anfang der sechziger Jahre hielt Popper ein Referat in Heidelberg, das den so genannten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (vgl. Kap.10) auslöste. Im selben Jahrzehnt entwickelte sich eine heftige Auseinandersetzung über den Verlauf von Forschungsprozessen, insbesondere über die Rolle, die Widerlegungen in der Wissenschaft spielen und spielen sollen. Mitte der siebziger Jahre erreichte Poppers Philosophie der Politik nicht nur hierzulande die Parteien. Etliche Politiker liebäugelten mit dem kritischen Rationalismus.

Popper gehörte durchaus zu den streitbaren Philosophen. Er hielt gerne, vor allem im fortgeschrittenen Alter, Vorträge und gab auch Interviews, die aktuelle politsche Fragen betrafen, wie das Spiegel-Gespräch »Kriege führen für den Frieden« (ALP).

Dieses Buch bietet eine problemorientierte Einführung in die Philosophie Poppers – das heißt, dass ich mich darum bemühe, die jeweiligen Probleme deutlich zu machen, auf die Popper mit seinen Hypothesen versuchsweise antwortet. Darüber hinaus möchte ich auf einige praktische Konsequenzen hinweisen, auch auf solche, die manchmal »existenziell« genannt werden. Ich erörtere also noch einmal die Frage, inwieweit der kritische Rationalismus ein plausibles Modell für das individuelle Leben, den Entwurf für eine Lebensweise darstellt.2 Aus diesem Grund berücksichtige ich nicht nur Probleme der Ethik, sondern auch so genannte Sinnfragen und Aspekte der Religionsphilosophie, die zwar in Poppers Werk gelegentlich auftauchen, aber nicht ausgearbeitet sind. Das gilt auch für Poppers in Umrissen erkennbare Theorie...

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