Hochbegabung - Ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten

Hochbegabung - Ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten

von: Franzis Preckel, Miriam Vock

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2013

ISBN: 9783840924675

Sprache: Deutsch

216 Seiten, Download: 7480 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Hochbegabung - Ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten



1.3 Explizite Theorien: Definitionen und Modelle

Eine allgemeingültige Definition intellektueller Hochbegabung gibt es nicht, sondern eine Vielzahl verschiedener Konzeptionen. Worin liegt diese Definitionsvielfalt begründet? Zum einen ist Hochbegabung ein komplexes Phänomen, welches eine Vielzahl von Zugängen zulässt und auch erfordert. Zum anderen ist Hochbegabung wie alle psychologischen Variablen ein Konstrukt, also ein theoretischer Begriff und damit nicht direkt beobachtbar. Vielmehr muss eine Hochbegabung aus Beobachtungen wie dem Verhalten einer Person in bestimmten Situationen erschlossen werden. In der Regel betrachtet man hier Leistungssituationen, also solche Situationen, in denen Kriterien für erfolgreiches Handeln definiert werden können. Es gibt eine Vielzahl an möglichen Leistungssituationen und es kann nicht abschließend festgelegt werden, welche davon für intellektuelle Hochbegabung relevant sind und welche nicht. Daher ist intellektuelle Hochbegabung ein offenes Konstrukt, das ständig weiterentwickelt wird. Doch trotz der Vielfalt vorhandener Definitionen und Modelle lassen sich die meisten in das in Abbildung 2 gezeigte Raster einordnen.

Kompetenzdefinitionen
Hochbegabung wird definiert als extrem hohes Entwicklungspotenzial (z.B. operationalisiert über Intelligenzoder Kreativitätstests)

Eindimensionale Definitionen
Hochbegabung wird über ein Konstrukt (z.B. allgemeine Intelligenz) bzw. für einen spezifischen Bereich (z. B. numerisches Denken) definiert

Mehrdimensionale Definitionen
Hochbegabung wird über mehrere Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Intelligenz, Leistungsmotivation), zum Teil in Wechselwirkung mit Umweltmerkmalen definiert


Performanzbzw. Post-hoc-Definitionen Hochbegabung wird definiert über bereits gezeigte außergewöhnliche Leistungen (z.B. erfasst über Schulnoten, Berufserfolg, Innovationen etc.)

Ergänzen könnte man bei der Abbildung soziale Definitionen oder Etikettierungsansätze von Hochbegabung: Hiernach gilt eine Person als hochbegabt, wenn sie über Fähigkeiten verfügt, die von der Gesellschaft oder von bestimmten Personen (z. B. Fachexpertinnen oder -experten) als wertvoll bewertet werden. Hochbegabung ist hiernach also das Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses.

1.3.1 Performanzdefinitionen versus Kompetenzdefinitionen

Performanzdefinitionen definieren Hochbegabung über bereits erbrachte außergewöhnliche Leistung. Daher werden sie auch als Post-hoc-Definitionen bezeichnet. Personen, bei denen ein hohes Potenzial vermutet wird, was sich jedoch noch nicht in Leistung manifestiert, werden nach Performanzdefinitionen nicht als hochbegabt bezeichnet. Kompetenzdefinitionen hingegen definieren Hochbegabung als hohes Potenzial zu Leistung, setzen diese aber nicht mit Leistung gleich. Nach diesen Definitionen werden alle Personen als hochbegabt bezeichnet, die ein hohes Entwicklungspotenzial aufweisen – unabhängig davon, ob sie dieses in entsprechenden Leistungen zeigen oder nicht. Abbildung 3 verdeutlicht den Unterschied zwischen beiden Definitionsklassen.

In Abbildung 3 werden für beide Definitionsklassen Anlagefaktoren mit Umweltfaktoren und weiteren Persönlichkeitsmerkmalen kombiniert. Diese Kombination ist notwendig, unabhängig davon, ob man Hochbegabung als beobachtbare Leistung oder als Potenzial zu dieser definiert. Denn Anlagefaktoren wie Intelligenz (vgl. Kap. 1.4) setzen sich nicht allein durch, sie entwickeln sich nicht im „luftleeren Raum“ sondern immer in einer komplexen Interaktion mit vielen anderen Faktoren. Darauf werden wir bei den multidimensionalen Modellen nochmals zu sprechen kommen. Interessanterweise sind aktuell für Kinder und Jugendliche Kompetenzdefinitionen weitgehend akzeptiert, während für Erwachsene Performanzdefinitionen dominieren. Beispielsweise gibt es kein Begabtenförderprogramm für Studierende, das Personen ohne sehr gute Leistungen aufnähme, wohingegen bei Schülerinnen und Schülern die Aufnahme in besondere Begabtenklassen zum Teil auch ohne exzellente Schulleistungen erfolgt, z. B. wenn ein Schüler einen hohen Intelligenztestwert erreicht hat. Woher kommt diese altersabhängige Verschiebung von Hochbegabungsdefinitionen? Theoretisch ist sie nicht unbedingt zwingend, wie z. B. das Konzept des lebenslangen Lernens zeigt. Auch gibt es durchaus Personen, deren Begabung und Fähigkeiten sich erst relativ spät zeigen. Beispiele für solche sogenannten „late bloomers“ sind der Komponist Anton Bruckner, der Schriftsteller Charles Bukowski oder die Malerin Grandma Moses. Bruckner beispielsweise verfasste seine erste Komposition erst mit Ende Dreißig, Bukowski veröffentlichte seine erste Novelle im Alter von fast 50 Jahren und Grandma Moses begann erst in ihrem siebten Lebensjahrzehnt zu malen. Doch solche Fälle sind insgesamt eher selten. Kompetenzdefinitionen implizieren, dass sich bei entsprechend günstigen Personenund Umweltbedingungen das Potenzial auch in Leistung umsetzen wird. Günstige Umweltbedingungen sind z.B. passende Förderangebote. Es stellt sich die Frage, ob solche Förderinterventionen ab einem bestimmten Entwicklungsstand keine (oder nur eine geringe) Förderwirkung entfalten können. Auch trägt die Gesellschaft eine soziale Verantwortung für die Ausbildung und Förderung jüngerer Menschen. Beides erklärt jedoch nur teilweise, warum bei jüngeren Menschen Kompetenzdefinitionen und bei Erwachsenen Performanzdefinitionen dominieren.

1.3.2 Eindimensionale versus mehrdimensionale Definitionen

Eindimensionale Definitionen (bzw. einfaktorielle Definitionen) gehören historisch zu den ältesten. Wie bereits in Abschnitt 1.1 dargestellt, setzte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts Sir Francis Galton hohe Begabung mit hoher Intelligenz gleich. Diese sogenannte Intelligenzoder Intelligenzquotient-(IQ-)Definition findet sich auch heute noch oft in Forschung und Praxis zur Identifikation und Förderung intellektuell Hochbegabter (vgl. hierzu auch Kap. 1.4). Oft wird hier ein bestimmter Grenzwert eingesetzt (z. B. IQ > 130 bzw. Prozentrang 98), ab dem von intellektueller Hochbegabung gesprochen wird. Daher wird diese Definition auch als psychometrische Definition bezeichnet. Häufig wird Intelligenz dabei mit allgemeiner Intelligenz gleichgesetzt. Manchmal werden aber auch verschiedene Dimensionen der Intelligenz differenziert (z. B. verbale oder mathematische Intelligenz; vgl. Kap. 1.4.1), so dass unterschiedliche Typen intellektuell Hochbegabter gebildet werden können (z. B. allgemein Hochbegabte, mathematisch Hochbegabte). Werden spezifische Intelligenzbereiche herangezogen, spricht man vereinzelt auch von Talentdefinitionen.

Eindimensionale Definitionen können sowohl als Kompetenzdefinition als auch als Performanzdefinition formuliert werden. Werden beispielsweise Testpersonen mit einem Prozentrang von 98 (vgl. Kap. 1.4.2) in einem Test numerischer Intelligenz als mathematisch hochbegabt angesehen, ist dieses eine Kompetenzdefinition. Werden hingegen die Siegerinnen und Sieger der Internationalen Mathematikolympiade als mathematisch hochbegabt angesehen, liegt eine Performanzdefinition vor.

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