Das psychologische Experiment - Eine Einführung

Das psychologische Experiment - Eine Einführung

von: Oswald Huber

Hogrefe AG, 2013

ISBN: 9783456952994

Sprache: Deutsch

221 Seiten, Download: 2040 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Das psychologische Experiment - Eine Einführung



(2) Alltagspsychologische Annahmen (auch falsche) beeinflussen unser Handeln. Durch unser Handeln können wir aber u. U. das erwartete Ergebnis herbeiführen, auch wenn diese alltagspsychologische Annahme falsch ist.

Ein Elternpaar hat z. B. die falsche alltagspsychologische Hypothese, dass Mädchen technisch weniger begabt sind als Knaben. Aus diesem Grund versorgen sie ihre Tochter auch hauptsächlich mit typischem Mädchenspielzeug: Puppen, Puppenküche, etc. Spielzeug, welches das technische Verständnis fördert (z. B. technische Baukästen), bieten sie nicht an. Beschäftigt sich das Mädchen dennoch gelegentlich mit technischen Dingen, machen sie abwertende Bemerkungen («Das verstehst Du doch nicht», «Das ist doch nichts für ein Mädchen», etc.). Damit – und durch noch andere Verhaltensweisen – erreichen die Eltern im Lauf der Zeit (und ohne das speziell geplant zu haben), dass das Mädchen sein Interesse an technischen Dingen tatsächlich verliert, und sich ihr sehr wohl vorhandenes technisches Verständnis nicht weiterentwickelt. Für die Eltern ist aber dann ihr Mangel an technischem Verständnis wieder ein weiterer Beweis für ihre Alltagstheorie, dass dies eine spezifische Eigenschaft von Frauen ist. (3) Was wir wahrnehmen und erinnern, ist oft von unseren Wünschen, Erwartungen, etc. beeinflusst und verzerrt. Dies kann z.B. dazu führen, dass eine falsche alltagspsychologische Annahme nicht als solche erkannt wird.

Herr S. ist davon überzeugt, dass Leute, die im Sternbild der Zwillinge geboren sind, neugierig sind. Nun kann man aber sehr viele menschliche Verhaltensweisen als mehr oder weniger neugierig interpretieren: fernsehen, lesen, tratschen, etc. Es kann durchaus sein, dass Herr S. ein-und-dieselbe Verhaltensweise anders wahrnimmt und interpretiert, je nachdem, ob die handelnde Person Zwilling ist oder nicht. Was ihm bei einem Zwilling als typisch neugierig erscheint, fällt ihm vielleicht bei einem Löwen gar nicht auf. Es findet also bereits auf der Ebene der Wahrnehmung eine Verzerrung zugunsten der Erwartung statt. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass derartige Verzerrungen ungemein wirksam sind und uns helfen, unsere Vorurteile beizubehalten, solange es irgendwie geht. Aber auch das Gedächtnis spielt mit: Wir tendieren z. B. dazu, uns an die Fälle, welche unserer Erwartung entsprechen (also in unserem Beispiel: neugierige Zwillinge) gut zu erinnern, während wir solche, bei denen derartige Erwartungen nicht erfüllt werden, eher vergessen. Auch das bewahrt uns davor, unsere Annahmen ändern zu müssen.

(4) Bei der Anwendung alltagspsychologischen Wissens ist es oft schlicht irrelevant, ob das Wissen richtig oder falsch oder auch widersprüchlich ist. Wir verwenden es häufig nur dazu, um uns bestimmte Vorgänge nachträglich zu erklären. Dabei genügt es uns, wenn wir eine plausible (Schein-)Erklärung finden. Ob sie auch stimmt, ist nebensächlich. Ein ganz einfaches Beispiel: Frau X. erklärt sich die Tatsache, dass Fräulein G. (Akademikerin) und Herr D. (ungelernter Hilfsarbeiter) geheiratet haben, damit, dass sich Gegensätze eben anziehen. Sie hat damit eine subjektiv befriedigende Erklärung gefunden. Ob diese Alltagstheorie über die Gründe, warum Menschen einander anziehend finden, stimmt, ist irrelevant. Ihre wichtigste Funktion ist, dass Frau X das Ereignis nun in ihr Weltbild einordnen kann.

Die wissenschaftliche Psychologie bemüht sich systematisch, herauszufinden, ob ihre Behauptungen wahr sind oder falsch. Bei dieser kritischen Überprüfung versucht sie, die vorher besprochenen (und auch noch andere) Fehlerquellen zu neutralisieren. Wie wir gesehen haben, ist das nicht einfach, denn die Falschheit einer Behauptung muss gar nicht so ohne weiteres auffallen. Die wissenschaftliche Psychologie entwickelt daher gezielt Strategien, welche es ermöglichen, auch falsche Behauptungen als solche zu entlarven.

Diese methodisch kontrollierte kritische Überprüfung ist der vermutlich wichtigste Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der Alltagspsychologie. Da die letztere zum Thema «Prüfung von Behauptungen» kaum etwas beizutragen hat (außer schlechten Beispielen), werde ich ab nun unter dem Begriff Psychologie stets die wissenschaftliche Psychologie verstehen.

Die methodisch kontrollierte kritische Überprüfung von Aussagen ist auch einer der zentralen Unterschiede zwischen Wissenschaften und Pseudowissenschaften (z.B. Astrologie, Intelligent Design, pseudohistorische Holocaustleugnung). Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Pseudowissenschaften finden Sie in Shermer (2002). Das Magazin Skeptic geht auf aktuelle pseudowissenschaftliche Behauptungen und Ansätze im Detail ein. Nützlich für die Auseinandersetzung mit Pseudowissenschaften können auch die folgenden Websites sein: http:// www.skeptic.com [abgerufen am 24.09.2012] (Magazin Skeptic) und http://www. gwup.org [abgerufen am 24.09.2012] (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V.). Auf dieser Website finden Sie auch einen Link zur deutschsprachigen Ausgabe von Skeptic: skeptiker (Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken).

1.2 Sammlung von Tatsachenwissen – Erforschung von Gesetzmäßigkeiten

Auf einem sehr allgemeinen Niveau kann man zwei globale Ziele der wissenschaftlichen Forschung unterscheiden: Die Sammlung von Tatsachenwissen und die Erforschung von Gesetzmäßigkeiten. Das Ziel der Sammlung von Tatsachenwissen ist die reine Beschreibung dessen, was (zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum) bei einer bestimmten Person, einer bestimmten Gruppe, etc., der Fall ist. Sie sucht eine Antwort auf Fragen der Art: Was ereignet sich?, Was ist der Fall?, Welche Eigenschaften hat X. Y.?, Haben alle Individuen der Gruppe K die Eigenschaft A?, etc.

«Klassische» Sammlungen von Tatsachenwissen bilden medizinische oder auch klinisch-psychologische Einzelfallstudien, d. h. z. B. die Beschreibung von relevanten Symptomen, Eigenschaften, Verhaltensweisen, bedeutsamen Aspekten der persönlichen Geschichte, etc. eines ganz bestimmten Patienten. Die Sammlung von Tatsachenwissen gibt es aber auch in den Wissenschaften, deren Gegenstandsbereich leblose Objekte sind. So gehören zum gesammelten Wissen der Astronomie detaillierte Beschreibungen von einzelnen Himmelskörpern (z.B. Umlaufbahn, Größe, Zusammensetzung, Entfernung von anderen Himmelskörpern, etc.). Die Erforschung von Gesetzmäßigkeiten hat als Ziel, ein Phänomen in ein (mehr oder weniger komplexes) System von psychologischen Gesetzmäßigkeiten einzubetten. Damit wird es auch möglich, vorherzusagen, was (unter bestimmten Voraussetzungen) geschehen wird. Sie versucht eine Antwort auf Fragen der Art zu geben: Wieso ist das und das geschehen?, Weshalb ereignet es sich?, Warum tut X. Y. das?, Was muss ich tun, damit das Ziel X erreicht wird?, Wie wird sich X. Y. in der Situation S verhalten?, usw.

Eine Beschreibung eines Einzelfalles im Rahmen des Tatsachenwissens würde also z. B. genau auflisten, ob und wie im Detail sich Frau A. in einem bestimmten Zeitabschnitt aggressiv verhält. Die Erforschung von Gesetzmäßigkeiten hat dagegen das Ziel, allgemeine Gesetzmäßigkeiten herauszufinden, unter welchen…

Kategorien

Service

Info/Kontakt