Immanuel Kant

Immanuel Kant

von: Otfried Höffe

C.H.Beck, 2007

ISBN: 9783406547621

Sprache: Deutsch

352 Seiten, Download: 2289 KB

 
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Immanuel Kant



C. Was soll ich tun? – Die Moral- und Rechtsphilosophie (S. 174)

Die Veränderung philosophischen Denkens, die wir Kant verdanken, erfaßt nicht nur die Welt des Erkennens, sondern auch die des Handelns. Die Sonderstellung, die beim Erkennen der Wissenschaft zukommt, gebührt beim Handeln der Moral oder Sittlichkeit, wie im Bereich des Theoretischen die Wissenschaft, so erhebt im Bereich des Praktischen die Sittlichkeit den Anspruch auf allgemeine und objektive Gültigkeit. Kants Umgestaltung der praktischen Philosophie fi ndet deshalb als Neubegründung der Sittlichkeit (Moral) statt.

Vor Kant wurde der Ursprung der Sittlichkeit in der Ordnung der Natur oder der Gemeinschaft, im Verlangen nach Glück, im Willen Gottes oder im moralischen Gefühl gesucht. Kant zeigt, daß auf diese Weise der Anspruch der Sittlichkeit auf objektive Gültigkeit nicht gedacht werden kann. Wie im Feld des Theoretischen, so wird auch im Praktischen die Objektivität nur durch das Subjekt selbst möglich, der Ursprung der Moral liegt in der Autonomie, der Selbstgesetzgebung des Willens. Da die Autonomie gleichbedeutend mit Freiheit ist, erhält der Schlüsselbegriff der Neuzeit, die Freiheit, durch Kant ein philosophisches Fundament.

Kants Neubegründung der Sittlichkeit hat bis heute mehr als einen bloß geschichtlichen Wert. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Rechtfertigung sittlicher (moralischer) Normen wird Kant als systematischer Gesprächspartner in Anspruch genommen, und dies geschieht zu Recht. Denn Kant erfüllt die beiden Voraussetzungen eines anregenden Gesprächspartners. Erstens stimmt er mit jenen Minimalbedingungen überein, die die zeitgenössische normative Ethik in der Regel anerkennt. Wie die Vertreter der utilitaristischen Ethik und des Prinzips der Verallgemeinerung (Hare, Singer), wie ferner Rawls und Kohlberg, Apel, Habermas und die konstruktivistische Ethik («Erlanger Schule»), so stellt sich auch Kant in einen Gegensatz zu Relativismus, Skeptizismus und Dogmatismus in der Ethik. Auch Kant geht davon aus, daß moralisches Urteilen und Handeln nicht die Sache eines persönlichen Gefühls oder einer willkürlichen Entscheidung und auch nicht eine Frage der gesellschaftlich- kulturellen Herkunft, des Taktes oder der eingespielten Konvention sind. Vielmehr sieht er das menschliche Handeln unter letzte Verbindlichkeiten gestellt, für deren Einhalten man von anderen, aber auch von sich selbst zur Verantwortung gezogen wird. Das Handeln ist der Gegenstand einer zwar eigentümlichen, gleichwohl rationalen Argumentation.

Weiterhin stellt Kant die Argumentation auf die Grundlage eine s höchsten Prinzips der Moral. Die Kontroverse mit Kant beginnt erst dort, wo sich die zeitgenössische Ethik selbst nicht mehr einig ist, nämlich in der genauen Bestimmung des Moralprinzips. Und hier erfüllt Kant die zweite Voraussetzung eines anregenden Gesprächspartners. Zu der in weiten Teilen der internationalen Diskussion vorherrschenden utilitaristischen Theorie stellt seine Ethik der Autonomie und des kategorischen Imperativs das systematisch bedeutendste Gegenmodell dar, ein Gegenmodell, das nicht erst durch sein hohes Refl exionsniveau, sondern schon durch die weit elaborierte Begriffl ichkeit mit ihren Unterscheidungen von Recht und Moral, von empirisch bedingtem und reinem Willen, von Legalität und Moralität, von technischen, pragmatischen und sittlichen Verbindlichkeiten, von oberstem und höchstem Gut kaum ihresgleichen kennt. So sind Kants Hauptschriften zur Ethik bis heute nicht nur eine historische Darstellung, sondern auch eine sachliche Auseinandersetzung wert.

Die besondere Bedeutung Kants in der gegenwärtigen Ethik- Diskussion hat allerdings ihren Preis. Nicht bloß in jenem Kant- Verständnis, das zum allgemeinen Bildungsgut geronnen ist, sondern auch von Philosophen wird Kants Ethik oft nur bruchstückhaft rezipiert, und selbst die Bruchstücke werden durch gravierende Mißverständnisse verzerrt.

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