Die Weisheit der Vielen - Warum Gruppen klüger sind als Einzelne

Die Weisheit der Vielen - Warum Gruppen klüger sind als Einzelne

von: James Surowiecki

C. Bertelsmann, 2009

ISBN: 9783641010751

Sprache: Deutsch

385 Seiten, Download: 1369 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Weisheit der Vielen - Warum Gruppen klüger sind als Einzelne



Siebtes Kapitel
Der Verkehr: Koordinationsversagen
(S. 197-198)

I
In Londons City herrschte 2002 ein sozusagen ewiger Verkehrsstau. In das gut 321 Quadratkilometer große Zentrum dieser Weltstadt strömten an einem gewöhnlichen Werktag eine Viertelmillion PKWs, die dort mit einer Million Pendlern ins Gemenge kamen, die mittels öffentlicher Verkehrsmittel einfluteten. Die City von London kennt keine langen, geraden, breiten Boulevards. Die Straßen sind dort großenteils enge, gewundene Gassen. Sie drückten die durchschnittliche Verkehrsgeschwindigkeit auf etwa 15 Stundenkilometer, an besonders schlimmen Tagen auf fünf Kilometer pro Stunde. Da kam man schneller zu Fuß voran – ohne dabei übermäßig ins Schwitzen oder aus der Puste zu geraten.

Die Verkehrssituation lag dermaßen im Argen, dass ausgerechnet der Londoner Oberbürgermeister – Ken Livingstone, ein in der Wolle gefärbter Sozialist – sich für ein Vorhaben stark machte, das die kapitalistisch denkenden Ökonomen begeisterte. Das Mautsystem wurde im Februar 2003 eingeführt. Wer mit dem Auto zwischen sieben und 18.30 Uhr in die Innenstadt fuhr, hatte fünf Pfund Sterling zu entrichten. Wer die Gebühr zu zahlen versäumte und das Pech hatte, dass das Nummernschild seines Wagens von einer der 230 dort installierten Videokameras erfasst wurde, musste 80 Pfund Strafe zahlen. Die Maut sollte der Stadt jährlich 180 Millionen Pfund für Investitionen in die öffentlichen Verkehrsmittel bringen und das Individualverkehrsaufkommen um 20 Prozent reduzieren.

Der Plan ging von einer einfachen Grundüberlegung aus: Wer mit dem PKW in die Innenstadt fuhr, verschlechterte die Verkehrslage und bürdete allen Mitbürgern Lasten auf, zu deren Begleichung er selber nichts beitrug. Wenn Sie persönlich Fahrer eines solchen Wagens waren und im Stau steckten, während auf Bürgersteigen Kleinkinder vorbeisausten, mag es Ihnen so vorgekommen sein, dass Sie ohnehin schon einen viel zu hohen Preis zahlten. Den amtlichen Staukostenberechnungen zufolge war dem allerdings keineswegs so. Das neue Mautsystem stellte einen Versuch dar, die offenen Rechnungen zu begleichen. Verkehrsstaus mithilfe von Gebühren zu regulieren – als Idee kursiert so etwas seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die maßgeblichen Anstöße zu ihrer Weiterentwicklung gab William Vickrey, ein Wirtschaftswissenschaftler, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Vickrey betrachtete die verfügbaren Straßenkapazitäten einfach unter dem Gesichtspunkt einer knappen Ressource:

Um diese nun vernünftig zu verteilen, bedarf es einer Methode, allen potenziellen Interessierten Kosten wie Vorteile ihrer Nutzung bewusst zu machen. Nun können die Hauptzufahrtsstraßen von Großstädten traditionell von Hinz und Kunz kostenfrei genutzt werden, und darum werden sie natürlich auch von Hinz und Kunz zu den täglichen Stoßzeiten beansprucht – wiewohl eigentlich allen Verkehrsteilnehmern gedient wäre, wenn manche mit dem Auto früher beziehungsweise später in die Stadt führen, andere statt im PKW mit öffentlichen Verkehrsmitteln kämen und wieder andere ihre Arbeit daheim verrichteten.

Würde die Nutzung solcher Einfallstraßen dagegen mit Mautgebühren belegt, so hätten die Leute Grund, differenziertere Überlegungen anzustellen, dann würden sie unterschiedliche Antworten geben auf die Frage: »Wie viel ist mir diese Anfahrt eigentlich wert?« Und demgemäß würden sie sich von ihrem Arbeitsplatz auch früher oder später auf die Heimfahrt machen, mit dem Zug reisen oder die Möglichkeiten heutiger Telekommunikation zur Heimarbeit nutzen, statt alle miteinander um 18.30 Uhr die Interstate 95 zu verstopfen. Es ist eine schöne, theoretisch einleuchtende Idee – wenn sie in die Praxis umgesetzt werden sollte, war es allerdings jedes Mal ungemein problematisch, sie den Leuten zu »verkaufen«. In London hatte Livingstone massive Widerstände seitens starker Lobbygruppen zu überwinden. In den Vereinigten Staaten erwies sich jeder Versuch dieser Art bisher von vornherein als aussichtslos.

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