Bürgerkrieg - Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte

Bürgerkrieg - Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte

von: David Armitage

Klett-Cotta, 2018

ISBN: 9783608110968

Sprache: Deutsch

391 Seiten, Download: 3655 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Bürgerkrieg - Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte



1

Wie der Bürgerkrieg erfunden wurde


Die römische Tradition


Der Bürgerkrieg war keine naturgegebene Tatsache, die darauf wartete, entdeckt zu werden, sondern ein kulturelles Erzeugnis der Menschen, das erfunden werden musste. Diese Erfindung ist etwas mehr als 2000 Jahre alt. Man kann sie recht genau auf das erste Jahrhundert v. u. Z. datieren. Die Römer litten zwar nicht als Erste unter inneren Konflikten, aber sie waren die Ersten, die solche Konflikte als Bürgerkriege erlebten. Nachdem sie zunächst vielleicht erst einmal definieren mussten, was sie unter »Bürgerkrieg« verstanden – nämlich einen Krieg unter Mitbürgern –, begriffen sie ihre schwersten internen Konflikte zwangsläufig unter eindeutig politischen Gesichtspunkten, das heißt als Zusammenstöße zwischen Bürgern, die das Niveau von Kriegen erreichten. Diese Elemente blieben während eines großen Teils der weiteren Geschichte Kernstücke aller Bürgerkriegsbegriffe.

Nachdem die Römer also den Begriff des »Bürgerlichen« geprägt und – widerwillig und paradoxerweise, aber unumkehrbar – auf den Gedanken des Krieges angewandt hatten, schufen sie jene instabile, leicht spaltbare Wortverbindung, die uns bis heute begleitet: »Bürgerkrieg«. Wer sie erfand, ist nicht bekannt. Er – und ein Mann muss es gewesen sein, denn er war mit Sicherheit römischer Bürger – fügte zwei ganz unterschiedliche Begriffe zu einer explosiven neuen Mischung zusammen. Vor jenem unbekannten Römer hatte noch niemand diese beiden Elemente miteinander verbunden.

Die Griechen hatten vom Krieg eine klare Vorstellung; sie nannten ihn polemos – davon leitet sich in den modernen Sprachen das kämpferische Wort »polemisch« ab. Sie stellten sich aber unter den Kriegen innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften etwas völlig anderes vor als die Römer.1 Das heißt nicht, dass zwischen den römischen und griechischen Vorstellungen von internen Streitigkeiten eine unüberbrückbare Kluft bestanden hätte. Römische Autoren führten die Ursprünge ihrer eigenen politischen Spaltungen manchmal auf importierte, gefährliche griechische Begriffe wie die Demokratie zurück.2 Der griechische Historiker Thukydides hatte großen Einfluss auf seine Nachfolger unter den römischen Autoren, insbesondere auf Sallust, den Rivalen des Thukydides, wie ein anderer römischer Chronist ihn nannte.3 Und im ersten Jahrhundert u. Z. bedienten sich römische Historiker, die auf Griechisch schrieben, natürlich auch der griechischen Begriffe zur Beschreibung der Bürgerkriege in Rom.4 Aber dennoch waren die Römer überzeugt, dass sie etwas ganz Neues erlebten und dafür auch einen neuen Namen brauchten: Bürgerkrieg oder auf Lateinisch bellum civile.

Für die Römer hatte der Begriff »Krieg« traditionell eine ganz bestimmte Bedeutung. Man meinte damit einen bewaffneten Konflikt, der im Namen einer gerechten Sache gegen einen äußeren Feind ausgefochten wurde. Schlichte Aggression zählte nicht dazu, denn sie konnte wohl kaum gerecht sein. Auch individuelle Gewaltanwendung konnte nicht das Niveau eines Krieges erreichen, denn sie ließ sich nicht durch die römischen Kriegsgesetze einschränken. Und der Feind (hostis) war einem definitionsgemäß nicht vertraut, entweder weil er von außerhalb Roms kam oder weil er zumindest außerhalb der Gemeinschaft freier römischer Bürger stand: Römer führten Krieg gegen Sklaven, so gegen Spartakus, den großen Anführer der Sklavenaufstände, und gegen Piraten im Mittelmeer; ebenso zogen sie gegen Feinde an ihren Grenzen in den Krieg, beispielsweise gegen Parther und Karthager. Der »bürgerliche« Krieg war etwas anderes, weil die Feinde nur allzu vertraut waren und sogar als Familienangehörige betrachtet werden konnten: Auf der Gegenseite standen cives, Mitbürger. Ein solcher Krieg strapazierte also die üblichen Kriterien der Römer und die ganze Definition des Krieges bis über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Die Feinde waren nicht die Anderen, sondern die Gleichen. Und einen Kampf gegen sie konnte man kaum als gerecht bezeichnen, wenn er so offensichtlich dem Begriff des gerechten Krieges widersprach, denn dieser setzte sowohl einen legitimen Feind als auch einen angemessenen Grund zur Selbstverteidigung voraus.

Die Vorstellung vom Bürgerkrieg, die daraus erwuchs, war absichtlich widersprüchlich: ein Krieg, der kein Krieg sein konnte, gegen Feinde, die eigentlich keine Feinde waren. In den Propagandaschlachten während der römischen Bürgerkriege verkündeten die Konfliktparteien, ihre Sache sei gerecht, um so Unterstützung zu gewinnen und ihre Konflikte eher in Einklang mit der üblichen Vorstellung zu bringen.5 Indem die Römer einen solchen Krieg als »bürgerlich« bezeichneten, folgten sie der Praxis, ihre Kriege nach den Gegnern zu benennen, die man bekämpfte.6 Diese Tradition blieb bis ins 19. Jahrhundert bestehen: So gab es in Europa beispielsweise die »Napoleonischen Kriege«, die Briten führten einen »Zulukrieg«, einen »Burenkrieg« und einen »Maorikrieg«.7 Bis in unsere Zeit hat sie sich aber nicht erhalten: Selbst in den Vereinigten Staaten würden nur die Wenigsten den US-Bürgerkrieg heute als »Mr. Lincolns Krieg« bezeichnen, und niemand spricht dort – oder übrigens auch irgendwo anders – von den Golfkriegen als »Saddamkriegen«. Im Westen geben wir Kriegen allgemein den Namen der Orte, an denen sie stattfinden; so war es beim Korea- und Vietnamkrieg, dem ersten und zweiten Golfkrieg und sogar bei den »Weltkriegen« des 20. Jahrhunderts.

Das soll nicht heißen, dass die Römer ihre Kriege nie unter geographischen Gesichtspunkten betrachtet hätten; gemeint ist nur, dass sie solche Konflikte in der Regel nach dem gegnerischen Herrscher oder Volk benannten. Deshalb bezeichneten sie die drei Kriege, die sie im 3. und 2. Jahrhundert v. u. Z. gegen Karthago führten, als »Punische« Kriege, denn die Karthager waren Nachkommen der Phönizier oder Poeni; entsprechend wurde ein späterer Krieg gegen den nordafrikanischen König Jugurtha in den Jahren 112 bis 105 v. u. Z. »Jugurthinischer« Krieg genannt. In den Jahren 91 bis 89 v. u. Z. stritt sich Rom auch in Italien selbst mit verschiedenen Verbündeten oder socii um die Frage, ob das volle Bürgerrecht für die gesamte Halbinsel gelten sollte; diese Streitigkeiten wurden unter dem Namen Bundesgenossenkrieg (bellum sociale) zusammengefasst. Ähnlich war es mit den militärischen Anstrengungen zur Niederschlagung von Sklavenaufständen, insbesondere gegen den des Spartakus in Sizilien im Jahr 71 v. u. Z.; sie richteten sich gegen die Sklaven (servi) und wurden deshalb Sklavenkriege (belli servili) genannt.8 Alle diese Begriffe tauchten später vorübergehend wieder auf, beispielsweise während der Amerikanischen Revolution, als manche Autoren den Aufstand der britisch-amerikanischen Siedler mit dem Bundesgenossenkrieg verglichen oder als Sklavenhalter Anfang des 19. Jahrhunderts im Süden der Vereinigten Staaten von der Gefahr eines »Sklavenkrieges« sprachen. Keiner setzte sich aber durch wie der Begriff »Bürgerkrieg«.

Anfangs machten sich die Römer die Vorstellung eines Bürgerkriegs nur widerwillig zu eigen und benutzten den Begriff nur sehr zurückhaltend. Sie sahen darin etwas Neuartiges, Beunruhigendes, heute jedoch bedarf es einiger Phantasie, wenn man sich ausmalen will, warum der Bürgerkrieg ursprünglich so große Befürchtungen auslöste. »Im Englischen hat der Begriff ›Bürgerkrieg‹ die paradoxe Bedeutung verloren, die er in Rom in sich trug«, stellte ein Wissenschaftler fest. Damals bestimmte die Unterscheidung zwischen cives und Nicht-cives entscheidend mit über Status, Verpflichtungen und Rechte. Sie hinterließ etymologisch nur schwache Spuren, die heute kaum noch zu erkennen sind.9

Für die Römer war Bürgerkrieg der Umsturz der in den Städten beheimateten Zivilisation. Ein beständiger, beunruhigender...

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