Praxis der Gruppendynamik - Übungen und Modelle

Praxis der Gruppendynamik - Übungen und Modelle

von: Klaus Antons, Heidi Ehrensperger, Rita Milesi

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783840927812

Sprache: Deutsch

600 Seiten, Download: 5142 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Praxis der Gruppendynamik - Übungen und Modelle



Kapitel 2 Soziale Wahrnehmung und Training der Beobachtungsfähigkeit

2.0 Einführung

In nahezu jedem gruppendynamischen Kontext, speziell in unstrukturierteren Situationen, taucht sehr bald das Problem des sich nicht Verstehens, des Erstaunens, der Entrüstung und Frustration über die Andersartigkeit des anderen, über seine von meiner verschiedenen Wahrnehmung auf.

Das Bewusstsein, dass wir unsere Welt konstruieren und dass sie von der Welt der anderen verschieden ist, setzt sich nur langsam durch, obwohl Lewin mit seinem Konzept des Lebensraumes dies bereits vor 80 Jahren postuliert hat, Bruner und Goodman (1947), Brunswik (1956), Graumann (1956) und Laing et al. (1971) bereits die Gesetze der sozialen Wahrnehmung beschrieben haben und der Konstruktivismus auch schon ein halbes Jahrhundert alt ist.

Eine Bearbeitung dieser Wahrnehmungsprobleme erfordert, da sie häufig auch noch mit deutlichem Widerstand verknüpft sind, eine Demonstration ihrer Bedingtheit. Angeblich objektive Sachverhalte, deren unterschiedliche Auslegung Anlass zur Reflexion, zur Revision eigener Standpunkte geben und zu einem vorsichtigeren Umgehen miteinander führen können, sind dazu geeignet. Sie sind als erste Konfrontation unter Umständen sogar besser geeignet als die Analyse sozialer Sachverhalte, bei denen die Gültigkeit verschiedener Interpretationen schlecht nachzuprüfen ist.

Optische Täuschungen und Illusionen (2.1) sind, trotz ihrer hohen Bekanntheit, immer noch geeignet für diesen Zweck. Die hier dargestellten, klassischen optischen Täuschungen (siehe 2.1.1) können ersetzt werden durch andere (siehe 2.1.2). Das Kippbild der Alten – Jungen Frau (2.2) lässt sich vielleicht nur noch bei gruppendynamischen Neulingen verwenden.

Die Übung Bildbeschreibung (2.4) hieß ursprünglich „Cognac-Mädchen“, benannt nach dem ersten Bild, das von Lothar Nellessen für diese Übungsform benutzt wurde. Es ist vom Bildinhalt vielfach modifizierbar; Bilder aus Illustrierten und Zeitschriften wie GEO oder National Geographic bieten sich dazu an. Die in den drei genannten Übungen auftauchenden Schwächen des Informationsübermittlungsprozesses weisen gleichzeitig hin auf die Inhalte des Kapitels 3, Kommunikative Kompetenz und Feedback.

Das ebenfalls sehr bekannte Neun-Punkte-Problem (2.3) von Max Wertheimer, das Untersuchungen zur Gestaltwahrnehmung entstammt, ist für Uneingeweihte ein ausgezeichneter Stimulus zur Auseinandersetzung. Für Personen, die dieses Muster bereits kennen, sind die weniger bekannten zwölf Punkte bzw. die fünf oder zehn Baumreihen (siehe 2.3.2) eine gute Alternative. – Die Subjektivität der Wahrnehmung mit ihrer Anfälligkeit für Missverstehen kann reduziert werden durch eine methodische und gezielte Beobachtung nach standardisierten Kriterien.

Diese Beobachtungsverfahren, die ebenso gut im Kapitel 8, Diagnose des Grupaufgenommen, weil sie ebenso die Fähigkeit zur sozialen Wahrnehmung betreffen. Es sind sechs zum Teil vereinfachte Beobachtungssysteme wiedergegeben, die sich besonders gut zur Beobachtung von Gruppendiskussionen eignen. Sie werden mit ihrem theoretischen und methodischen Kontext später in diesem Buch wieder auftauchen: die Rollenbeobachtung nach Morton Deutsch im Arbeitspapier 6.9.1, die Verhaltensbeobachtung nach Wilfred Bion im Arbeitspapier 8.9.2 und die des Gruppendynamischen Raumes im Arbeitspapier 8.9.5.

Wir möchten darauf hinweisen, dass einmal angestoßene Diskussionsprozesse in einer lebendigen Gruppe eine Tendenz zur Verselbständigung haben und ins Uferlose weiterlaufen können. Es braucht deshalb eine klare Ansage der zeitlichen Begrenzung und eine konsequente Beendigung, damit Bereitschaft bei den Akteuren entsteht, die Rückmeldungen der Beobachter*innen auch wirklich aufzunehmen. Die klassischen gruppendynamischen Übungen 2.5 und 2.6 sind auf jeden Fall Intergruppenübungen; im Wechsel beobachtet je eine Gruppe die andere in unterschiedlichen Settings. Sie eignen sich vorwiegend für Gruppen, die bereits eine Entwicklung hinter sich haben. Hingegen ist die Zwiebelschale (2.7) auch für neue Gruppen geeignet. Sie hat sich unter dem Anglizismus Fishbowl (rückübersetzt dann als Aquarium oder Froschteich) durchgesetzt und operiert mit einem freien Stuhl. In dieser Form mischen sich Beobachtung und ein Repräsentanzmodell: Die Akteure im Fishbowl sind Repräsentanten der Gesamtgruppe, die in der Mitte etwas austragen, und sie sind gleichzeitig Gegenstand der Beobachtung des Außenkreises.

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