Ausweitung der Konsumzone - Wie Marketing unser Leben bestimmt

Ausweitung der Konsumzone - Wie Marketing unser Leben bestimmt

von: Christian Blümelhuber

Campus Verlag, 2011

ISBN: 9783593411491

Sprache: Deutsch

274 Seiten, Download: 15086 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Ausweitung der Konsumzone - Wie Marketing unser Leben bestimmt



EINLEITUNG oder Wie dieses Buch funktioniert, mit welchen Begriffen es operiert, wie auch Kunden Marketing machen und warum es schöner wäre, wenn Marketing schöner wäre Was treibt Strategen, Verführer und Bastler an? BMW, Pepsi und Leica, Google, Ebay und Ei, Ei, Ei Verpoorten. 'Geiz ist geil', 'Katzen würden Whiskas kaufen', 'Für das Beste im Mann', 'Quadratisch, praktisch, gut', 'Keine Sorge, Volksfürsorge'. Verkaufsförderung und Kundenbindung, AdWords und Testimonials. Marken, Slogans und Konzepte - das verbinden sicherlich die meisten von uns mit dem Marketing und der Konsumzone. Aber das? 'Radfahren', 'Eine Ausbildung zur Fotografin', 'Auf der Brooklyn Bridge laufen', 'Olympia 2012', 'Eine eigene Galerie' .... Das alles sind Antworten auf die Frage: 'Was treibt dich an?' Der Hintergrund? Eine großartige Kampagne der Volks- und Raiffeisenbanken im Jahre 2009, an der man zunächst die Besetzung der Hauptrolle loben muss: Dettmar Cramer, der große 'Fußball-Professor' der Siebzigerjahre, der mit Bayern München zweimal den Landesmeisterwettbewerb gewann und für die Volks- und Raiffeisenbanken ein sensationelles Comeback gab ... Die Kampagne der Volks- und Raiffeisenbanken ist ein perfektes Beispiel für modernes Marketing, für Marketing heute. Denn sie ist in dreierlei Hinsicht, die ich alle im Marketing unserer Postpostmoderne für zentral halte, wegweisend. Geht man üblicherweise in der Marketingliteratur von zwei Protagonisten aus, die das Geschehen bestimmen - erstens der Verführer, der Kreative in den Marketing-, PR- und Werbeagenturen, und zweitens der Stratege, der im Unternehmen arbeitet -, so kann man das Geschehen nicht (mehr) verstehen, wenn man nicht eine dritte Instanz berücksichtigt: den Konsumenten. Marketing ist keine Einbahnstraße, und die Kunden sind keine passiven, braven Schafe, die nur reagieren. Sie nehmen vielmehr am Spiel teil und drängen aktiv ins Marketing hinein. Strategen, Verführer und Kunden werden uns durch das Buch begleiten. Während die ersten drei Kapitel eher allgemein gehalten sind, gehe ich danach auf den Verführer ein. Seine Aufgabe ist es, 'Reize' zu setzen, 'Aufmerksamkeit' zu erzeugen und die 'Sympathie' des Konsumenten zu gewinnen. Kurz gesagt, er kreiert ein verführerisches Image. Die folgenden Kapitel sind dem Strategen gewidmet, der mit 'Daten' operiert und 'Preise' gestaltet. Er plant und steuert mit 'Strategien'. Die letzten drei Kapitel sind dem Konsumenten gewidmet, also uns. Es zeigt, wie wir als Kunden in das Marketing eingreifen. Wir sind Bastler, Bricoleur oder auch Spieler. Marketing wird zum 'Spiel', wir begehren immer besseren 'Service', und der wichtigste Rohstoff ist 'Freundschaft'. Der Konsument als Marketer Der erste Stratege der Volks- und Raiffeisenbanken war Friedrich Wilhelm Raiffeisen, sein einziges Buch das erste Strategiepapier: Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter von 1866. Seither hat sich die Erde mehrfach um die eigene Achse gedreht. In der Zeit der Banken- und Finanzkrise erschienen die Volks- und Raiffeisenbanken als Dinosaurier, die, irgendeinem glücklichen Zufall geschuldet, dem Bankentod von der Schippe gesprungen waren. Die Komplettrenovierung stand an. Mit dem Schlüsselwort 'Antrieb' dockte die Bank, sozusagen direkt aus dem 19. Jahrhundert, an der Gegenwart an. In flüchtigen und ökonomisch nervösen Zeiten wie diesen braucht jeder, um Erfolg zu haben, einen starken Antrieb. Warum also nicht einfach danach fragen? Und zwar nicht nur rein rhetorisch, als Frage im Werbespot, auf die man im Grunde gar keine Antwort haben möchte, sondern in der Realität. Kunden als auch die Mitarbeiter aller Ebenen wurden gefragt, was sie antreibt. Schließlich wollten die Mitarbeiter vorbereitet sein, wenn ein Kunde sie nach ihrem Antrieb fragen würde. Das ging so weit, dass unter der Unterschrift in jeder E-Mail eines jeden der 170.000 Mitarbeiter stand, 'was ihn antreibt' - und so drang die strategische Grundidee bis in die feinsten Kapillare der vereinigten Genossenschaftsbanken vor. Die Umsetzung der strategischen Vorgaben durch die Berliner Agentur Heimat ist nicht minder hochklassig. Der dokumentarische Stil, der weitgehende Verzicht auf ein Drehbuch und die scheinbar amateurhaft verwackelten Bilder erzeugten - oft versucht, selten erreicht - eine Atmosphäre der Authentizität. Während Marketing und Werbung ansonsten unter dem Generalverdacht der Lüge, Manipulation und Täuschung stehen, gelingt es der Kampagne und dem zentralen Spot mit Dettmar Cramer, glaubhaft zu sein - und damit, Vertrauen zu schaffen. Wenn Dettmar Cramer sagt, er habe die 'Veränderung' zu seinem 'Wesen' gemacht, dann trifft er ins Mark unserer Zeit. Er bestätigt sozusagen, was Peter Sloterdijk in seinem letzten Meisterwerk Du mußt dein Leben ändern anthropologisch feststellt: 'Wer Menschen sucht, wird Akrobaten finden.' Kommen wir zum bastelnden Konsumenten. Die Frage 'Was ist dein Antrieb?' war eine Aufforderung zum Tanz. In Scharen antworteten die Kunden. Einige dieser Antriebe kennen Sie ja schon. In den Werbespots der Volks- und Raiffeisenbanken und auf YouTube kann man sich viele der Statements ansehen. Es gab 'konforme' Antworten, aber auch sehr unübliche. Zum Beispiel die von Marcel: 'Was mich antreibt: HIV!' Er benutzt die Frage, um eine nicht vorgesehene, aber sinnvolle und völlig legitime Antwort zu geben. Er möchte über seine Erkrankung wirkungsvoll Auskunft geben und zur Aufklärung beitragen. Auf die Frage 'Wie weit willst du gehen', lautet seine Antwort sozusagen: so weit wie möglich, jedenfalls noch viel weiter. Der Bastler praktiziert eine 'Kunst des Handelns' (Michel de Certeau), die sich das, was sie vorfindet, aneignet und für ihre eigenen Zwecke ummodelliert. Oder mit den Worten Stephen Browns: 'Manche Kunden eignen sich das Produkt an und führen es dann Verwendungen zu, die man [...] so nicht vorausgesehen hat.' Der Bastler betreibt eine Praxis des 'Umfunktionierens', macht etwas, das buchstäblich nicht im Sinne des Erfinders ist. Der Bastler übt gegenwärtig die subtile Kunst von 'Mietern' aus, allerdings ohne Mietvertrag. Bastler wohnen in besetzten Häusern, sie gehen anarchistisch mit den herumliegenden, sich auftürmenden Marketingmaterialien um. Es kommt etwas heraus, was den ursprünglichen Absichten widerspricht und sie durchkreuzt oder auch gar nichts mehr damit gemein hat und in keinerlei Beziehung zu ihnen steht. Basteln heißt, die Kommunikationen, aus denen Marketing besteht, auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Ein Remix der Botschaften - bis sie unkenntlich werden und sich in andere Botschaften verwandeln, die im Original nicht angelegt waren (oder doch?). Ein Spiel, dessen Regeln sich der Empfänger-Konsument widersetzt und kurzerhand eigene formuliert. Unkontrollierbar und mit unvorhersehbarem Ausgang. Konsumenten sind 'verkannte Produzenten, Dichter ihrer eigenen Angelegenheiten, und stillschweigende Erfinder eigener Wege durch den Dschungel der funktionalistischen Rationalität'. Wenn man akzeptiert, dass Konsumenten nicht nur Empfänger von Marketingbotschaften und -imperativen sind, sondern selbst aktiv eingreifen, dann verändert sich die Architektur von Konsum und Marketing. Der Stratege und der Verführer können keineswegs unbehelligt vermarkten. Sie müssen vielmehr mit einem unberechenbaren und unkontrollierbaren Dritten rechnen. Marketing heute ist ein Spiel mit einem Akteur, der nicht zu bändigen ist. Und das heißt: Die Zeiten miefiger Manipulation sind ein für alle Mal vorbei. Strategen und Verführer sind keine Täter, Konsumenten keine Opfer. Wer vermarktet, orientiert sich heute an den Formeln 'Einbeziehen, nicht manipulieren' und 'Unterstützen statt kontrollieren'. Denn wer den Kunden neppen, schleppen, bauernfangen möchte, bescheißt sich letztendlich selbst. Das Marketing von morgen muss sich darauf einstellen, am besten schon heute. Nach den großen Erzählungen Der französische Philosoph Jean-François Lyotard hat 1979 in seinem Essay Das postmoderne Wissen das Ende der großen Erzählungen verkündet. Die Meistererzählungen der Moderne haben ihre Deutungskraft in der Postmoderne weitgehend eingebüßt. Das ist im Marketing nicht anders. Vormals eherne Grenzen, vor allem die zwischen dem Marketing auf der einen und den Konsumenten auf der anderen Seite, haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Wir alle sind Strategen, Verführer und Bastler. Wir alle nehmen verschiedene Rollen an, je nach Kontext, Situation und Zweck. Die großen Erzählungen des Marketings der Moderne, von den vier Ps des klassischen Marketingmixes - wir kommen später noch darauf - über den Verkaufstrichter, den Sales Funnell, bis hin zur Kundenorientierung als Erfolgsfaktor Nummer eins haben heute ihren Status eingebüßt. Zu Recht, denn sie können nicht mehr erklären, wie, warum und worum sich die Marketingwelt dreht. Jene Erzählungen geistern zwar auch durch diesen Text, ignorieren kann man sie schließlich nicht. Aber heute ist die Lage auf den Märkten und im Marketing so aufgesplittert, dass alle Generalerklärungen scheitern müssen. Ich habe versucht, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Sie werden keine große, sondern viele kleine Erzählungen kennenlernen. Wenn Sie so wollen, eine bunte Nummernrevue, die unterhalten soll, die Sie aber auch gerne als Werkzeugkasten nutzen können. Wer ein Buch schreibt, macht sich, bevor er beginnt, Gedanken über das Marketing und den Konsum seines Buchs: Er stellt sich die Zielgruppe vor. Ich bekenne, versagt zu haben. Ausweitung der Konsumzone ist 'ein Buch für alle und keinen', wie Friedrich Nietzsche über seinen Zarathustra gesagt hat. Es ist für alle interessant, die sich in dem genannten Reigen als Bastler verstehen, als Konsumenten sehen. Und das sind wir ja schließlich alle - irgendwie. Ein allerletztes Wort noch zu den Fachbegriffen. Die meisten Konzepte und Theorien, die berühmtesten Forscher und Marketer: Sie alle kommen aus den USA. Und deswegen ist die Sprache des Marketings Englisch. Ich habe versucht zu übersetzen, was möglich war, doch einige Ausdrücke sind nur verlustreich oder gar nicht zu übersetzen.

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