Wer braucht Superhelden - Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten

Wer braucht Superhelden - Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten

von: Lisz Hirn

Molden Verlag , 2020

ISBN: 9783990405567

Sprache: Deutsch

160 Seiten, Download: 524 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Wer braucht Superhelden - Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten



Rückkehr der Superhelden


„Weißt du, mein Vater und meine Mutter haben sich getrennt, also hatte ich nicht viel männliche Energie in meinem Haus. Und außerdem bin ich mit einer Familie verheiratet, die nicht viel männliche Energie hat.“

– US-Rapper Kanye West erklärt seine Begeisterung für Donald Trump im Oktober 20188

November 2019. Die Amerikaner sind alarmiert, als der US-Präsident unangekündigt ins Walter Reed Medical Center gebracht wird – Fragen zum Gesundheitszustand werden aufgeworfen, und die Antwort von Trumps Kampagnenteam kommt prompt. Sie vergleichen Trump mit dem Superhelden „Superman“ von DC Comics. Der Vergleich löst Empörung aus, denn „Superman“ ist ein Einwanderer ohne Papiere, der in einer Rettungskapsel in den USA gelandet war, als sein Heimatplanet Krypton explodierte. Im zivilen Leben ist er Journalist beim Daily Planet, also einer der „Feinde des Volkes“, wie ihn Trump bezeichnen würde. Ironischerweise ist Superman in der Originalversion auch der schlimmste Feind jenes Milliardärs, der im Laufe der Story Präsident der Vereinigten Staaten wird. Trump als Superman? Hat da jemand etwas verwechselt?

Doch es ist nicht das erste Mal, dass sich Trump den Superheldennimbus gibt. So sagte der Rapper und Trump-Fan Kanye West bei einer Audienz im Weißen Haus, dass er Hillary Clinton liebe, aber ihr Wahlslogan „I'm with her“ gebe ihm nicht das Gefühl, der Typ Mann oder Vater zu sein, den sein Sohn verdiente. „Als ich diesen Hut (Anm.: die Baseballmütze von Trump) aufgesetzt habe, fühlte ich mich wie Superman. Das ist mein Lieblingssuperheld.“9 Damit ist der Musiker nicht allein, für viele amerikanische Männer hat Trump doch das Unmögliche mit seiner Wahl zum Präsidenten erreicht. „America first“: Keine Heldenfigur vermittelt diese Anschauung besser als der Prototyp aller Superhelden: Superman.

US-Superman gegen die deutschen „Übermenschen“


Er ist der erste in der langen Reihe von Superhelden, die ursprünglich nur ein Ziel eint: Hitler zu besiegen und den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zu propagieren. Viele der Comiczeichner der späten 1930er und 1940er Jahre sind jüdischer Abstammung – so auch die Superman-Erfinder Jerry Siegel und Joe Shuster sowie Joe Simon und Jack Kirby, die Väter von Captain America. Entsetzt über die Judenverfolgung im Dritten Reich, die Expansionspolitik der Nationalsozialisten und die faschistische Propaganda von Deutsch-Amerikanern in den USA leisten sie ihren Beitrag, indem sie den ersten Comic-Helden 1938 mobil machen, um die Moral zu heben. „Die Propaganda der Superhelden kam bei den Leuten so gut an, weil sie genau das bedienen, was die Leute haben wollten. Sie wollten einen Helden haben, der Amerika beschützt“, erklärt Comic-Historiker Cuno Affolter.10 Gegen die deutschen „Übermenschen“ wurde also der US-Superman kryptonischer Abstammung ins Feld geschickt.

Um den Krieg zu beenden, brauchte es einen Helden, der „super“ zu sein hat, seine Fähigkeiten mussten über alle bekannten klassischen heldenhaften Eigenschaften und Tugenden hinausgehen. Superman musste den technologischen und sozialen Anforderungen des 20. Jahrhunderts gewachsen sein. So gelang Superman in den Comics, was kein Politiker, kein Soldat, kein Held hätte allein erreichen können: Diktatoren zu ohrfeigen, den Krieg zu beenden und die internationale Ordnung durch die gerechte Bestrafung der Übeltäter wiederherzustellen. Eine Ordnung, in der die USA den Ton angeben. Das Schema zieht sich durch die Geschichte der modernen Superhelden, die im 20. Jahrhundert beginnt. Sie bleibt jedoch in den Ursprüngen mit der Mythologie verbunden. Das Vorgängermodell des Superhelden ist das des klassischen Helden. Sein Stereotyp ist das eines körperlich gut aussehenden, starken Mannes, der durch seine außerordentlichen Taten Ruhm erlangt und so über den gewöhnlichen Menschen steht.

SUPERMAN UND DER KATEGORISCHE IMPERATIV

Wer sich schon einmal gefragt hat, warum Superman entschieden hat, für das Gute zu kämpfen, anstatt sich eigennützig an der Welt zu bedienen, wird möglicherweise von der Antwort überrascht sein: Er hat sich einfach aus freien Stücken und gutem Willen dazu entschlossen. Er tut es nicht, weil er sich davon einen persönlichen Vorteil wie Beliebtheit erhofft, sondern er handelt, weil es „richtig“ und „vernünftig“ ist, das zu tun.

Genau das macht auch der moralisch sittliche Mensch bei Kant. Wie bei Superman wird bei ihm der gute Wille zur Pflicht. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Der kategorische Imperativ gebietet allen endlichen vernunftbegabten Wesen, ihre Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer für alle, jederzeit und ohne Ausnahme geltenden Maxime folgen. Entscheidend ist, ob das Recht aller betroffenen Menschen, auch als Selbstzweck, also nicht als bloßes Mittel zu einem anderen Zweck behandelt zu werden, berücksichtigt wird.

Held ist nicht gleich Held


Helden sind ein wesentlicher Bestandteil von Mythen und ein essentielles Merkmal männlicher Inszenierung. Das ist nicht neu, interessant ist vielmehr, warum sich gerade das Modell des Helden als „harter Mann“, als Ideal archetypischer Männlichkeit durchgesetzt hat. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Eine verweist auf die Rolle Amerikas, „das der ganzen Welt seine Bilder der Männlichkeit aufzwang: von Cowboy über Rambo bis hin zu Terminator, verkörpert durch Schauspieleridole (John Wayne, Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger), fungierten diese Helden der großen Leinwand als Ventile und bringen immer noch Millionen Männer zum Träumen.“11

Vor allem nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs gab es ein großes Misstrauen gegen den Begriff des „Helden“. Zu stark war das Unbehagen, dass jeder Held immer schon die moralischen Kategorien seiner jeweiligen Gruppe propagiere. So vermitteln Helden und Superhelden nicht nur die von ihnen inkarnierte kulturelle Männlichkeit, sondern außerdem unsere moralischen Wertmaßstäbe, also was es in unserer Gesellschaft bedeutet, gut oder böse, Mann oder Frau zu sein. Kaum etwas steht so überzeugend für den Zeitgeist wie unsere Superhelden.

Was macht den Superhelden so besonders?


Während der Actionheld, quasi die moderne Variante des klassischen Helden, durch hartes physisches Training gestählt wird, erfährt der typische Superheld „… eine magische Wandlung, die in übernatürliche, bzw. übermenschliche/tierische Kräfte mündet. Physische, und das heißt hier: männliche Kraft wird zu etwas Symbolhaftem, das im Kampf bewiesen und moralisch verankert werden muss.“12

Der klassische Held in Sandalen hat heute zwar ausgedient, viele der „alten Motive“ tauchen aber bei den Superhelden wieder auf, sei es nun die spezielle Schwachstelle oder der obligatorische Kampf mit dem Erzfeind. Neu ist, dass sich das Grundkonzept eines Helden von der antiken Vorstellung von Superkräften hin zu einer modernen Auffassung gewandelt hat, welche sich vor allem auf außerordentliche Leistungen und hohe moralische Werte bezieht.13 Den aktuellen Missständen und modernen Katastrophen können die klassischen Helden mit ihren Fähigkeiten wenig entgegensetzen. Auch die Gefahr, die vom Helden selbst ausgeht, also dass er seine Stärke missbraucht, um die Herrschaft an sich zu reißen, wird beim Mythos des Superhelden entschärft.

Hatte Achilles' verletzter Stolz und Machtwille beinahe noch den Griechen den Sieg vor Troja gekostet, ist Clark Kent alias Superman ein braver Staatsbürger ohne den Willen zur Macht. Seine moralische Gesinnung verhindert, dass er mit seinen Kräften die Welt aus den Angeln hebt und sich als Diktator installiert. „Die Mission des Superhelden ist prosozial, selbstlos und universell. Das bedeutet, dass sein Kampf gegen das Böse sich den vorherrschenden Sitten der Gesellschaft anpassen muss und nicht auf persönlichen Nutzen abzielen (…) darf. (…) Dennoch ist es die Mission des Superhelden, die ihn von anderen Helden unterscheidet. Viele der Western- und Science-Fiction-Helden verfolgen nicht die allgemeine Mission des Superhelden oder die der Helden in Pulp-Magazinen, denn sie streben nicht danach, Gutes bloß um des Guten willen zu tun.“14 Stellt der klassische Held noch eine Gefahr für die bestehende Ordnung dar, ist der Superheld der perfekte Untertan. Kämpften die klassischen Helden noch für ihre Gruppe oder Länder, geht es bei den Superhelden um nichts mehr als um die Rettung der Menschheit.

Jede Zeit hat ihre Helden


Der Mythologie-Experte Joseph Campbell war nicht der erste, der 1988 darauf hinwies, dass „jede Mythologie (des Helden oder auch anderer Art) mit einer Lebensweisheit zu tun hat, welche zu einer bestimmten Zeit mit einer bestimmten Kultur verbunden ist. Sie bindet das Individuum in seine Gesellschaft und diese in die Natur ein (…) sie ist eine harmonisierende Kraft.“15 Auch die Art, wie Superhelden erscheinen, ist wesentlich kulturgebunden. Wurden Heldengeschichten einst oral vor dem Lagerfeuer, später im Theater, dann via Buchdruck vermittelt, ist der Erfolg des Superhelden eng verknüpft mit dem Aufkommen der Massenmedien, zuerst dem Comicstrip, später dem Film.

Auf diesem Markt regieren von Anfang an nicht Konzepte wie...

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