Lernprobleme: ADHS? - Fallanalysen aus der Lerntherapie

Lernprobleme: ADHS? - Fallanalysen aus der Lerntherapie

von: Margarete Liebrand

Hogrefe AG, 2007

ISBN: 9783456743509

Sprache: Deutsch

286 Seiten, Download: 798 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Lernprobleme: ADHS? - Fallanalysen aus der Lerntherapie



Natürlich lassen sich die Anliegen, mit denen die Eltern und Kinder in eine lerntherapeutische Praxis kommen, nicht einfach aufschieben bis alle offenen Fragen geklärt sind. Die Probleme, die sich mit den Stimmungsschwankungen, den Anpassungsschwierigkeiten und den Hindernissen in der Aktivierung und Selbstorganisation von alltagsrelevanten Routinetätigkeiten sowie der systematischen Bearbeitung von Lernaufgaben verbinden, machen therapeutische und erzieherische Entscheidungen notwendig, unabhängig davon, ob die Problematik bereits wissenschaftlich hinreichend durchdrungen ist.

Es ist nicht die primäre Aufgabe einer Therapeutin, Theoriearbeit zu betreiben oder empirische Studien durchzuführen, wohl aber, die eigene Arbeit theoretisch und methodisch zu begründen. Um meine anfänglichen Fragen und Bedenken klären zu können, habe ich damit begonnen, die Protokolle meiner therapeutischen Arbeit mit den Kindern, die mit der Diagnose ADS/ADHS zu mir kamen, zu durchdenken. Ich suchte auf pädagogischem und auf psychologischem Gebiet nach wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Gegenstand der Aufmerksamkeit und mit dem Lernen auseinandersetzen, um meiner Reflexion einen Orientierungsrahmen geben zu können. Und ich begab mich auf die Suche nach Begründungen für ein lerntherapeutisches Vorgehen, die aus der Spezifik der Problematik, um die es geht, herzuleiten waren. In den Wissenschaftszweigen Pädagogik, Neuropsychologie und Pädagogische Psychologie fand ich Anhaltspunkte.

Solange es an einheitlichen wissenschaftlich abgesicherten Erklärungen und Konzepten mangelt, kommt dem Austausch von therapeutischen Erfahrungen erhöhte Bedeutung zu. Deshalb möchte ich die von mir gemachten Erfahrungen beim lösungsorientierten therapeutischen Handeln sowie meine Suche nach Begründungen für ein lerntherapeutisches Vorgehen zur Diskussion stellen und zwar anhand von Fallanalysen. Fallanalysen scheinen mir deshalb besonders geeignet für einen Erfahrungsaustausch, weil diese es ermöglichen, dem Leser das Verhalten des einzelnen Kindes und die auf das jeweilige Kind zugeschnittenen spezifischen therapeutischen Interventionen konkret vor Augen zu führen.

Da viele konkrete und vor allem typische Situationen vorgestellt werden, in die lernschwierige, unaufmerksame und unruhige Kinder im Lerngeschehen und im sozialen Miteinander geraten können, dürften sich für die Leser auch Anknüpfungspunkte zu den eigenen Erfahrungen ergeben. Das Erzählen von ‹Geschichten› hat den Vorteil, dass jeder mit dem, was vorgestellt wird, etwas verknüpfen kann. Denn es kann Berührungspunkte geben, Identifikationen können ermöglicht werden und Prozesse des therapeutischen Geschehens können Schritt für Schritt nachvollzogen werden.

Ein Erzählen von ‹Geschichten› hat allerdings auch Nachteile. Das Individuelle und Konkrete, das in den Vordergrund rückt, ist nicht ohne weiteres verallgemeinerbar. Was sich für Malte therapeutisch als hilfreich erwiesen hat, muss für Knut nicht unbedingt von Vorteil sein. Die Lernvoraussetzungen, Lerngeschichten und Lernumstände einzelner Kinder können höchst unterschiedlich sein. Und hinter dem auffälligen Verhalten, das mit Lernund Aufmerksamkeitsproblemen in Verbindung gebracht wird, können komplexe Lernund Entwicklungsprobleme stehen und vor allem vielfältige Probleme. Nicht zuletzt die umfangreiche Palette an Symptomen, die in den medizinischen Diagnose-Leitfäden zusammengetragen wurde, lässt dies erahnen.

Da individuelle Problemlösungen nicht umstandslos übertragbar sind, ist es nicht ratsam, sich darauf zu beschränken, nur ‹Geschichten› zu erzählen. Damit auch wirklich alle Leserinnen und Leser den individuellen therapeutischen Erfahrungen etwas für sich entnehmen können, müssen zumindest Möglichkeiten der Verallgemeinerung angeboten werden. Deshalb habe ich den Fallgeschichten analysierende Kommentare hinzugefügt. Es soll damit deutlich werden, dass sich das dargestellte lerntherapeutische Handeln an vorläufigen Annahmen über Lernund Aufmerksamkeitsprobleme orientiert hat, dass diesem Handeln bestimmte Vorstellungen über hilfreiche methodische Vorgehensweisen zugrunde lagen und dass sich auch in den vielen Prozessabläufen nach und nach Fragestellungen zu den Zusammenhängen von Lernund Aufmerksamkeitsproblemen entwickelt haben. Denn der lerntherapeutische Prozess gestaltete sich zwar als eine Art Pfadsuche, als eine prozessorientierte Analyse der individuellen Schwierigkeiten des jeweiligen Kindes und als ein Aufspüren von möglichen Bedingungszusammenhängen für diese individuellen Schwierigkeiten. Doch erfolgte diese Suche nicht voraussetzungslos. Ihr lagen bestimmte theoretische und methodische Orientierungen zugrunde, dies aber als eine Art Arbeitskonzept, an dem mit Hilfe der ausgewerteten Erfahrungen weitergearbeitet wurde.

Die in den Wissenschaftszweigen Pädagogik, Neuropsychologie und Pädagogische Psychologie entwickelten theoretischen und begrifflichen Anhaltspunkte eröffneten mir vor allem die Möglichkeit, die Entwicklung von Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit dem Lernen zu betrachten und damit dem beschriebenen Begriffswirrwarr entkommen zu können. Die Eltern und Kinder kommen zu mir mit dem Anliegen um Unterstützung bei Lernschwierigkeiten. Das Lernen ist also der zentrale Punkt, auf den wir uns zu beziehen haben. Ein solch eindeutiger Bezugspunkt ist für unsere gemeinsame Arbeit auch notwendig.

Zwar lassen sich Legasthenieund Dyskalkulie-Probleme zuweilen noch eindeutig diagnostizieren. Doch wenn Aufmerksamkeitsprobleme und Dyskalkulieoder Legasthenieprobleme einander verschärfen oder wenn, wie dies nicht selten vorkommt, Aufmerksamkeitsprobleme vor allen Dingen situationsspezifisch in schulischen Zusammenhängen Schwierigkeiten bereiten, in anderen dagegen sehr viel weniger ausgeprägt auftreten, so helfen häufig weder die medizinischen DiagnoseLeitfäden noch Testverfahren weiter, um differenzieren zu können, welche Problematik die jeweils andere in welcher Weise bedingt und welcher Faktor letztlich als maßgeblich für die auffälligen Schwierigkeiten einzuschätzen ist. Besondere Probleme bereitet dann die mangelnde begriffliche Präzision der Symptombeschreibungen in den Diagnose-Leitfäden. Lege ich allerdings den Lernbegriff als Orientierungsrahmen zugrunde, so ist es mir möglich, nicht nur Legasthenie-, Dyskalkulieund Aufmerksamkeitsprobleme in einem Zusammenhang zu sehen, sondern auch Wahrnehmungs-, Motivationsund emotionale Schwierigkeiten. Außerdem ermöglicht mir die Orientierung am Lernbegriff, den Rückgriff auf bewährte therapeutische Konzepte aus der jeweiligen spezifischen Lernproblematik begründen und konzipieren zu können.

Darüber hinaus hat mir insbesondere die tätigkeitstheoretisch orientierte Pädagogische Psychologie und die neuere Hirnforschung eine Basis für die Begründung der dem therapeutischen Handeln zugrundeliegenden Leitvorstellungen geboten. Und in therapeutisch-methodischer Hinsicht fanden sich Orientierungsmöglichkeiten in der systemischen Familientherapie, in didaktischen Konzepten der pädagogischen Handlungsforschung, in psychomotorischen Konzepten, die auf neuropsychologischen Ergebnissen der Wahrnehmungsforschung beruhen sowie in verhaltenstherapeutischen Vorgehensweisen.

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