Banken-Bailouts - Scheitern oder Erfolg? Neue Lösungen durch systemisches Management von Komplexität

Banken-Bailouts - Scheitern oder Erfolg? Neue Lösungen durch systemisches Management von Komplexität

von: Olivia Malik

Campus Verlag, 2012

ISBN: 9783593417448

Sprache: Deutsch

225 Seiten, Download: 7517 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Banken-Bailouts - Scheitern oder Erfolg? Neue Lösungen durch systemisches Management von Komplexität



1. Einleitung, Relevanz und Thesen

Die Bilder leerstehender Häuser mit einem 'for sale'-Schild und die der Angestellten von Lehman Brothers, die nach dem Konkurs mit gepackten Kartons das Gebäude verließen, werden wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. Die Immobilien- und Finanzkrise erschütterte 2007 die Welt und hält sie bis heute in Atem. Einige wenige Stimmen hatten vor einer Krise, vor einem Platzen der Immobilienblase gewarnt. Diese Stimmen aber versiegten im Getöse um mögliche Traumrenditen und -gewinne.

Als die Blase schließlich platzte und die Folgen sichtbar wurden, hörte man von den Betroffenen, die Krise sei angeblich nicht absehbar gewesen, sei zu schnell gekommen. Sie prallte mit zu großer Wucht auf, als dass man sie noch hätte aufhalten können. Nicht nur einflussreichste Bankenmanager, sondern auch Selbstständige und Kleinunternehmer waren betroffen; viele verloren durch die Krise alles. In den USA wurden ganze Viertel zu Geistervierteln. Die Menschen standen vor ihren Banken stundenlang Schlange, um ihr Geld zu retten. Ein Ereignis jagte das andere. Selbst die gesündesten Finanzplätze der Welt, die solidesten Institutionen, auf die man immer vertraut hatte, wie die Schweiz und ihre UBS, kamen ins Wanken, mussten sich nach jahrelangen Höhenflügen geschlagen geben und einräumen, dass sie sich von der Jagd nach Renditen hatten mitreißen lassen. Es folgten Abschreibungen in Milliardenhöhe.

Doch am schlimmsten traf es die USA, das Ursprungsland der Immobilienkrise. Hier kämpfte ein Finanzgigant nach dem anderen ums Überleben, bis schließlich Lehman Brothers unterging. Der Fall dieses Traditionshauses versetzte das ganze Finanzsystem in eine Art Schockzustand.

Regierungen versuchten, wieder die Oberhand zu gewinnen bzw. sich die Kontrolle zurückzuerobern. Aus Angst, das Finanzsystem könnte kollabieren, wurde nicht lange überlegt, sondern gehandelt. In den verschiedensten Ländern der Welt wurden Rettungsmaßnahmen verabschiedet, um das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Seitdem wurden nach allen Regeln der Kunst laufend weitere Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Indes - nichts scheint wirklich zu helfen, und Verzweiflung macht sich breit.

1.1 Relevanz des Themas und Problemstellung

Aufgrund des enormen Einflusses der Krise auf alle Lebensbereiche erstaunt es nicht, dass die Krise und ihre Folgen zum vermutlich meistbeschriebenen Thema der vergangenen Jahre wurde. Eine ganze Flut an Büchern, Medienberichten und Artikeln wurde zum Thema veröffentlicht; von allen Seiten wurde die Krise beleuchtet, jedoch stets hauptsächlich aus der Optik einer wissenschaftlichen Disziplin. Die meisten Analysen und Vorschläge, wie Ähnliches in Zukunft zu vermeiden sei, entbehren einer integrierten Betrachtungsweise. Die Systemtheorie mit ihren Denkansätzen und Methoden bietet hier die Plattform, um eine Wiederholung des Geschehenen vermeiden zu können. Sie vereint die verschiedenen Disziplinen wie Rechtswissenschaft, Ökonomie und Psychologie und führt ihre Betrachtungsweisen zusammen. Als eines der Kerngebiete der Systemtheorie dient die Kybernetik als Wissenschaft des Regulierens1 dazu, die Kräfte hinter der gesamten Krise und ihren Folgen besser verstehen zu können, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.

Beim Erlass von Bankenrettungspaketen sah man sich mit einer extremen Vernetzung sowohl des Finanzsystems als auch anderer Lebensbereiche konfrontiert. Mit herkömmlichen Methoden ist es unmöglich, einen so hohen Vernetzungsgrad erfassen, geschweige denn beherrschen zu können. Dafür bedarf es anderer Methoden und Instrumente, die der Kybernetik entstammen. Ein solches Instrument ist das Sensitivitätsmodell nach Professor Vester: Es ist ein kybernetisches Planungs- und Managementtool, das es ermöglicht, komplexe Probleme zu lösen und ihre Vernetzung zu visualisieren.

In dieser Arbeit soll ein Sensitivitätsmodell für die Bankenrettung erstellt werden, um deren Auswirkungen klarer herausarbeiten zu können. Im Rahmen dieser Untersuchung wird deutlich, dass das Sensitivitätsmodell ein geeignetes Instrument ist, um Blindflüge in der Gesetzgebung in Zukunft vermeiden zu können.

Ebenfalls durch die hohe Vernetzung des vorliegenden Problems bedingt, ist vorliegendes Buch stark praxisorientiert ausgerichtet und von hoher interdisziplinärer Relevanz. So wird in einem ersten Schritt auf die Finanzkrise und ihre Ursachen eingegangen; bereits hier zeigt sich eine Überlappung zwischen den Wissenschaftsdisziplinen, denn zur Erläuterung der Ursachen werden sowohl die Betriebswirtschaftslehre als auch die Massenpsychologie herangezogen. In einem zweiten Schritt werden die Bankenrettungspakete genauer unter die Lupe genommen; da diese in Form von Gesetzen erlassen wurden, wird der Jurisprudenz in dieser Arbeit große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Auswirkungen der Bankenrettungspakete werden schließlich mit einem Werkzeug (Tool) der Systemtheorie analysiert.

1.2 Zusammenfassende Thesen

- Schulden, massenpsychologische Dynamik sowie die Nullzinspolitik der Zentralbanken sind Gründe für die Immobilien- und Finanzkrise von 2007. In zahlreichen Ländern wurden auf dem Höhepunkt der Krise Rettungsmaßnahmen erlassen. Sie reichten von Staatsgarantien, Bürgschaften und Einlagensicherung über den Aufkauf fauler Wertpapiere bis hin zu einer Kapitalzufuhr in Form von Aktienkauf bei entsprechenden Instituten.

- Zweck dieser als Gesetze ausgestalteten Bankenrettungspakete war die Gewährleistung von Stabilität. Sie zielten darauf, die Finanzmärkte zu stützen, den Kreditfluss wieder in Gang zu bringen, die Liquidität an den Finanzmärkten sicherzustellen und systemrelevante Institutionen zu schützen. Bereits das Konzept des Management by Objectives lässt erkennen, dass die Mehrheit der Ziele nicht adäquat gewählt wurde und so nur schwer erreichbar war.

- Das zur Ausarbeitung der Auswirkungen angewandte computergestützte Sensitivitätsmodell nach Professor Vester ist ein kybernetisches Lenkungsinstrument, das mithilfe der Fuzzy Logic der globalen Vernetzung und dem hohen Grad der heute herrschenden Komplexität gerecht wird. Das Modell ermöglicht es, komplexe Probleme und Zusammenhänge als Ganzes zu erfassen und zu visualisieren. Der Komplexität des Systems, in dem sich die Bankenrettungspakete entfalten sollten, hätte mit diesem Tool besser begegnet werden können.

- Das entwickelte Systemmodell 'Bankenrettung' vermag aufzuzeigen, dass Maßnahmen der amerikanischen Regierung zur Bankenrettung, erlassen in Form des Emergency Economic Stabilization Act 2008, nicht zu einem stabilen System führten. Das System 'Bankenrettung' ist, wie man an der Proportion von positiven und negativen Rückkopplungen sieht, nach wie vor instabil. Allein an der hohen Anzahl langer Regelkreise ist abzulesen, dass es im System zu erheblichen Zeitverzögerungen kommt, sodass Fehlentscheide lange nicht bemerkt werden.

- Es zeigt sich ein kritisches, dynamisches System, in dem die Maßnahmen zur Bankenrettung eher kritische Variablen als geeignete Hebel sind. In Variablen ausgedrückt, sind das vor allem die 'Staatsgarantien', die 'Kapitalzufuhr' zusammen mit der 'Obligatorischen Inanspruchnahme von Staatshilfe'. Die wenigen potenziellen Hebel, mit denen man das System 'Bankenrettung' hätte verändern können, wurden nicht erkannt und genutzt.

- Aufgrund der hohen Vernetzung und Aggregationsebene des Systems 'Bankenrettung' ist es weder von innen noch von außen gut steuer- und regulierbar. Regulierungen und Gesetze in diesem System zur Wiederherstellung von Stabilität sind bereits vorab zum Scheitern verurteilt, da sie die hohe Vernetzung nicht bewältigen und keine Durchsetzungskraft erreichen konnten. Entsprechend bedarf es einer fundamentalen Änderung des gesamten Systems mit dem Ziel, es wieder regulierbar zu machen.

- Die Ausgabe von Staatsgarantien als ein essentieller Bestandteil der Maßnahmen zur Bankenrettung kann anfangs eine Korrektur des Systems bewirken. Diese hält jedoch nicht lange an, sondern wird schnell durch Rückwirkungen kompensiert, sodass es noch mehr Staatsgarantien bedarf, um wieder eine Korrektur zu bewirken etc. Über diesen Ablauf, der sich bis zum Kippen des Systems aufschaukelt, verliert man schnell die Kontrolle. Ferner zieht die Ausgabe von Staatsgarantien aufgrund ihrer hohen Einbindung in (auch lange) Regelkreise erhebliche, schwer festzustellende Nebenwirkungen nach sich.

- Der zweite wichtige Teil der Maßnahmen der Bankenrettung, die 'Kapitalzufuhr' in Zusammenhang mit der 'Obligatorischen Inanspruchnahme von Staatshilfe', kann trotz des Zwangs von Instituten, Staatshilfe in Anspruch zu nehmen, gewisse Anstöße zu Veränderungen geben und anfangen, Entwicklungen im System auszulösen. Diese werden allerdings schnell durch Rückwirkungen gehemmt, sodass wiederum mehr Kapital notwendig wird etc. Auch dieser Kreislauf kann sich bis zum Umkippen des Systems fortsetzen. Lediglich der neutrale Charakter der 'Obligatorischen Inanspruchnahme von Staatshilfe' kann zur Selbstregulation beitragen, wenn sie in Regelkreise eingebunden ist.

- Trotz einiger anfänglich positiver Anstöße entfalteten die Maßnahmen zur Bankenrettung unerwünschte Wirkungen. Sie bargen die Gefahr, durch ihren Einsatz die Kontrolle über das System zu verlieren; sie begünstigten ungewollte Nebenwirkungen, und sie ermöglichten die Erreichung von kaum einem Ziel. So wurde die Wirtschaftslage nicht verbessert, die Finanzmärkte nicht nachhaltig gestützt und auch der Kreditfluss nicht wesentlich verstärkt.

- Durch Anwendung des Sensitivitätsmodells auf die Situation vor Erlass der Rettungspakete hätte es gelingen können, adäquatere Maßnahmen zu formulieren und die Bankenrettung effektiver zu gestalten. Die prospektive Gesetzesevaluation unter Einsatz des Sensitivitätsmodells hätte so zu einer erhöhten Stabilität geführt, und Folgeeingriffe der Regierungen wären nicht notwendig geworden.

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