Warum kaufen wir? - Die Psychologie des Konsums

Warum kaufen wir? - Die Psychologie des Konsums

von: Paco Underhill

Campus Verlag, 2012

ISBN: 9783593417936

Sprache: Deutsch

328 Seiten, Download: 3567 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Warum kaufen wir? - Die Psychologie des Konsums



KAPITEL 1

Eine Wissenschaft wird geboren

Okay, Sie schlendern durch den Laden, gehen unauffällig weiter, und ... Stop.

Pssst. Hinter der Topfpalme bleiben Sie stehen. Dann zücken Sie das Clipboard und den Stift.

Unser Forschungsobjekt ist die Frau um die Vierzig in dem braunen Trenchcoat und dem blauen Rock. Sie befindet sich in der Badezimmerabteilung. Sie berührt die Handtücher. Bitte notieren - sie befingert das eine, das zweite, das dritte, bislang sind es vier. Sie hat gerade einen Blick auf das Preisschild geworfen. Auch das muss notiert werden. Vorsicht - immer unauffällig bleiben - schließlich soll sie Sie nicht sehen. Sie hat zwei Handtücher von dem Ausstellungstisch mitgenommen und verlässt damit die Abteilung. Zeit notieren. Dann folgen wir ihr den Gang entlang bis hin zu ihrem nächsten Halt.

So beginnt ein weiterer Tag im Weinberg der Wissenschaft, oder um es genauer zu fassen: der Konsumforschung. Aber beginnen wir mit einer grundlegenden Frage: Seit wann existiert eine solche wissenschaftliche Disziplin denn überhaupt?

Folgendes Szenario wäre beispielsweise denkbar gewesen. Ein Zweig der Anthropologie widmet sich dem Studium des modernen Käufers in situ (ein hochgestochener lateinischer Begriff, mit dem man in diesem Fall nichts anderes als die Käufer im Laden meint) und befasst sich damit, wie er mit der Einzelhandelsumgebung (den Läden, aber auch Banken und Restaurants) interagiert, mit den tatsächlichen physischen Voraussetzungen also. Dazu gehören unter anderem jede Ablage, jedes Regal, jeder Laden- oder Ausstellungstisch, jedes Schild, jedes Plakat, jede Broschüre, jegliche Orientierungshilfe und jede computergestützte interaktive Informationsplattform, die Eingänge und Ausgänge, die Fenster und Mauern, die Aufzüge und Paternoster, die Treppen und Rampen, die unzähligen Kassen, Ladentheken, die öffentlichen Toiletten und jeder Zentimeter jedes Ganges - kurz: jede Nische und jeder Winkel von der hintersten Ecke des Parkplatzes bis zum innersten Kern des Geschäfts selbst. Wenn Anthropologen all das bereits untersucht hätten und sich dabei natürlich nicht einfach nur auf den Laden konzentriert hätten, sondern auf das, was - exakt und präzise und wissenschaftlich - Menschen darin tun, wohin sie gehen und nicht gehen und auf welchem Weg sie dahin gehen, was sie sehen und übersehen oder lesen und überlesen; wie sie mit den Objekten umgehen, auf die sie stoßen, man könnte auch sagen: wie sie einkaufen - die präzisen anatomischen Mechanismen und die Verhaltenspsychologie, wie sie einen Pullover aus dem Regal nehmen, um ihn sich genauer anzusehen, oder wie sie den Beipackzettel von Pillen gegen Magenbeschwerden lesen oder die Speisekarte eines Fast-Food-Restaurants oder wie sie nach einem Einkaufskorb greifen oder auf eine bestimmte Information auf dem Bildschirm des Geldautomaten reagieren ... Ich wiederhole: Wenn Anthropologen darauf geachtet hätten und nicht nur das, sondern auch sämtliche noch so winzigen Daten gesammelt, zugeordnet, verarbeitet, tabellarisch angeordnet und querverwiesen hätten, angefangen von extrem weit gefassten Fragen (Wie viele Menschen kommen an einem typischen Samstagmorgen in jenen Supermarkt, und zwar geordnet nach Alter, Geschlecht und Größe der Kundengruppe?) bis hin zu besonders spezialisierten Fragestellungen (Entscheiden sich männliche Supermarktbesucher unter fünfunddreißig, die die ernährungsphysiologischen Informationen auf der Verpackung von Cerealien gelesen haben, eher für den Kauf einer Cornflakes-Packung als solche, die sich lediglich das Foto auf der Verpackung angesehen haben?), dann, nun dann hätten wir die Psychologie des Konsums als Wissenschaft nicht erst erfinden müssen. Im Jahr 1997, als dieses Büchlein zum ersten Mal herauskam, wusste die akademische Welt mehr über den klassischen Marktplatz in Papua-Neuguinea als über das, was im Supermarkt um die Ecke oder im nächstbesten Einkaufszentrum vor sich ging. Die Anthropologie des 20. Jahrhunderts hatte einfach keine Lust, vor der eigenen Tür zu kehren.

Im Jahr 1997 war ich bereits seit zehn Jahren auf diesem Gebiet tätig. Und seither hat sich eine Menge verändert. Weltweit beschäftigen die Firmen nun Anthropologen, damit sie das näher untersuchen, was populärwissenschaftlich wahlweise als Käufer- oder Consumer-Insight-Gruppen bezeichnet wurde. [Der Consumer Insight gibt Auskunft über die Motive des Konsumenten beim Kauf eines bestimmten Produkts. Durch umfangreiche Untersuchungen werden Einsichten in das Verhalten gewonnen, das zur Kaufentscheidung führt. (Anm. d. Übers.)] Ethnische Studien (also jene Wissenschaft, die die Menschen in ethnische Gruppierungen, Kulturen und deren unterschiedliche offensichtliche und weniger offensichtliche Charakteristika unterteilt) sind aus der modernen Marktforschung mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Als ich jedoch meine Praxis eröffnete und klar wurde, dass dies mein Schwerpunkt sein würde, erntete ich von meinen Kollegen nur mitleidige Blicke, und die Händler und Kaufleute, denen ich einen Dienst erweisen wollte, sahen mich an wie ein Alien.

Wenn man von meinem Büro aus den Flur entlang geht, stößt man auf einen Materialraum, in dem sich mehr als einhundert Kameras befinden. Acht-Millimeter-Videokameras, die sich direkt an die Festplatte anschließen lassen, Digitalkameras, sogar ein paar antiquierte Super-8-Schmalfilmkameras. Um sie auseinanderzuhalten, trägt jede Kamera einen Namen - die Videokameras heißen wie Rockstars, die digitalen Geräte sind mit den Tierkreiszeichen gekennzeichnet. Wir glauben, dass ein konkreter Name für eine Kamera dazu beiträgt, dass das Gerät länger hält, und wenn Jimi Hendrix sich schlecht fühlt, dann kommt er viel schneller in die Reparaturwerkstatt als, sagen wir, Kamera Nummer 26. In dem gleichen Geräteraum stapeln sich unzählige Kisten mit Acht-Millimeter-Videokassetten à zwei Stunden Spielzeit, wobei fünfhundert Kassetten in eine Kiste passen. Mittlerweile haben wir mehr als fünfzigtausend Stunden Filmmaterial pro Jahr gesammelt. Zudem liegen uns jede Menge PDAs vor, auf denen wir die Antworten aus Tausenden von Interviews mit Kunden notieren, die wir durchführen. Hinzu kommen Laptops sowie Stative, Halter, Linsen, Objektive und anderes Kamerazubehör und Unmengen von Isolierband. Oh, und unzählige Hartschalenkoffer für alles Mögliche, denn das Equipment verreist gern. Und häufig. Im Studio neben dem Geräteraum befinden sich zwei komplette Filmschnitt- und Bearbeitungssysteme sowie elf Stationen, auf denen wir uns die Filme ansehen können - denn alles, was wir drehen, müssen wir auch auswerten. Mit unserer Ausrüstung könnten wir gut und gern Fernsehdokumentationen drehen oder sie einem Lehrstuhl in sozialer Anthropologie oder experimenteller Psychologie an einer größeren Universität zur Verfügung stellen, vorausgesetzt, dass diese Universität nachweislich in der Lage ist, Unmengen von weltweit gesammelten Forschungsdaten zu sammeln und auszuwerten.

Doch trotz unserer hochtechnisierten Hilfsmittel war unser wichtigstes Forschungsinstrument in den vergangenen dreißig Jahren ein Stück Papier, das wir als Tracking-Sheet oder Beobachtungsbogen bezeichnen und das von jenen Menschen ausgefüllt wird, die wir als 'Tracker' - Beobachter also - bezeichnen. Tracker sind die Feldforscher in der Konsumforschung, die Wissenschaftler, die sich mit dem Kaufen, oder - genauer - mit den Käufern befassen. Die Aufgabe eines solchen Trackers besteht im Wesentlichen darin, Käufern heimlich zu folgen und alles aufzuzeichnen, was sie tun. Zunächst lungert ein solcher Tracker erst einmal unauffällig am Eingang des Geschäfts herum und wartet darauf, dass ein Käufer den Laden betritt. Sogleich nimmt er die Fährte auf. Der Tracker folgt der ahnungslosen Person (oder den Personen), solange er oder sie sich in diesem Laden befinden (sogar bis hin zur Umkleidekabine und zur Kundentoilette), und zeichnet buchstäblich jeden noch so kleinen Schritt des Käufers auf.

Gemäß einer Wissenschaft, die in der realen Welt aufgewachsen ist, also weit entfernt von den Elfenbeintürmen der akademischen Welt, sind unsere Tracker nicht aus dem normalen Forscher-Holz geschnitzt. Zu Anfang engagierten wir für diese Aufgabe frisch gebackene Absolventen des Studiengangs Umweltpsychologie, stellten aber fest, dass sie häufig für diese Art von Arbeit nicht geeignet waren. In der Regel standen ihnen die gerade erlernten Lehrbuchtheorien bei ihren Erkenntnissen gründlich im Weg. Demzufolge hatten sie gar nicht die zur langfristigen Beobachtung des Kundenverhaltens notwendige Geduld. Als perfekt für diese Art von Arbeit erwiesen sich kreative Menschen - wie Dramatiker, Künstler, Schauspieler, Romanschriftsteller oder sogar Puppenspieler. Sie haben keine Theorien, die sie aufrecht erhalten oder zerstören wollen, sondern lediglich einen offenen Geist und grenzenlose Neugier im Hinblick auf das Verhalten von Menschen und auf das dahinter steckende Wie und Warum. Sie sind ebenso leidenschaftslose wie eifrige Beobachter, die kein anderes Ziel verfolgen, als genau dokumentieren zu wollen, wie Kunden sich im Supermarkt verhalten. Es gelingt ihnen, den Wald zu sehen, aber auch die Bäume und sämtliche Schattierungen dazwischen.

Wenn wir jemanden mit dem richtigen Temperament und der Intelligenz für diese Arbeit finden, durchläuft er zunächst ein Training in unserem Büro. Dort gibt es viel zu lernen - zum Beispiel, wie man jemanden beobachtet und sich gleichzeitig Notizen macht, oder wie man unterscheidet, ob jemand ein Schild liest oder einfach nur in den danebenhängenden Spiegel schaut. Und wir müssen unseren Trackern die allerwichtigste Fähigkeit, die sie für diese Tätigkeit benötigen, vermitteln: Wie schaffe ich es, den beobachteten Personen nahe genug zu kommen, ohne ertappt zu werden? Das ist besonders wichtig, da wir nur auf diesem Wege natürliches Kaufverhalten erleben. Es überrascht uns allerdings immer noch, wie nah man jemandem in einem Geschäft kommen kann, ohne bemerkt zu werden. Wir haben festgestellt, dass es keine gute Idee ist, sich hinter einen Kunden zu stellen - wir alle reagieren schließlich wachsam, wenn wir plötzlich das Gefühl haben, beobachtet zu werden. Wenn Sie aber neben einem Kunden stehen, dann deutet er das, was seine periphere Sicht ihm meldet, als weiteren Kunden - mit anderen Worten als harmlos und nicht der Beachtung wert. Aus dieser Position heraus können Sie dem Käufer nah genug kommen, um genau zu beobachten, was er tut. So wissen Sie genau, dass er, sagen wir, neun Golfhandschuhe berührt hat, nicht acht oder zehn. Dann schicken wir unsere hoffnungsvollen Nachwuchs-Tracker hinaus ins wahre Leben, in die Geschäfte, und beobachten, wie sie sich in diesem Rahmen machen. An diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen, und die meisten werfen das Handtuch. Man kann ihnen die richtige Technik beibringen, aber nicht die Winkelzüge oder die leichte Faszination, die man benötigt, um diese Arbeit auch vernünftig zu machen. Seltsamerweise birgt diese Tätigkeit ein gewisses Suchtpotenzial in sich, und viele unserer Tracker arbeiten schon seit einem Jahrzehnt oder mehr bei uns.

John zum Beispiel macht derlei Feldstudien für meine Firma Envirosell schon seit mehr als zehn Jahren, wobei er ansonsten als Erzieher tätig ist. Er ist dazu ausgebildet, Fünfjährige zu überwachen. Verfügt er also über genügend Geduld? Oh ja. Er hat gerade seinen zweihundertsten Einsatz hinter sich. Er ist mittelgroß, hat braunes Haar, ist von schmächtiger Statur, hat Lachfalten an den Augenwinkeln und große, breite Füße. Es macht ihm nichts aus, den ganzen Tag zu stehen. In unserem Tracker-Team haben wir auch Anfänger, die wir noch unter unsere Fittiche nehmen müssen, dann haben wir die mittleren Tracker, die Meister-Tracker, die Team-Leader ... und Noah, der nach dreizehnjähriger Tätigkeit jetzt die mehr als vierzig Mitglieder unseres Tracking-Teams leitet, und zwar von unserem Büro in New York City aus. Noah fanden wir in Nashville. Er sprang in letzter Minute ein, ein Musikstudent, der hinten und vorne nicht zurechtkam und der nach nur drei Stunden Arbeit für uns endlich seine Berufung gefunden hatte. Als er zum ersten Mal zu mir ins Büro kam, lief ihm der nervöse Schweiß in Strömen herunter (er war noch nie zuvor in New York gewesen). Aber auch dreizehn Jahre später kann ich ihm einfach nicht abgewöhnen, mich Mr. Paco zu nennen.

Unsere Tracker müssen nicht nur jede signifikante Bewegung eines einzelnen Einkaufsbummels messen und zählen, sondern sie tragen auch Entscheidendes zur Feldstudie bei, indem sie die Nuancen des Kundenverhaltens beschreiben und gute Folgerungen auf der Basis dessen, was sie beobachtet haben, ziehen. Aus diesen Notizen setzt sich eine weitere - diesmal eher anekdotenhafte - Informationsschicht über eine bestimmte Umgebung und wie Menschen mit ihr umgehen zusammen. Unsere Tracker durchqueren den amerikanischen Kontinent und sind auf der ganzen Welt unterwegs. Seit 2008 haben wir Büros in Mexico City, São Paulo, Mailand, Bangalore, Moskau und Tokio, und jedes Büro besitzt seinen eigenen Tracker-Pool. Auf der ganzen Welt verbringen Envirosell-Tracker pro Monat mehr Zeit in Geschäften als die meisten Menschen in mehreren Jahren. Sie besuchen jeden erdenklichen Einzelhandelszweig, angefangen von Banken über Fast-Food-Restaurants bis hin zu Luxus-Modeboutiquen oder Discountern von der Größe einer Flughalle.

Seit 1997 arbeiteten wir hart daran, unser Repertoire an Studiengebieten zu erweitern, wobei wir Konzerthallen, Stadien, Bahnhöfe und Flughäfen ebenso einbeziehen wie Bibliotheken, Museen, Hotels und Websites (auf die wir später noch eingehen werden). Aber unser Schwerpunkt blieb immer der gleiche. Wir arbeiteten mit etwa der Hälfte der fünfzig größten Einzelhändler der Welt zusammen, und allein in den USA gehören mehr als ein Drittel unserer Kunden zu den Fortune-100-Unternehmen.

Und was ist mit den Formularen, die die Tracker benutzen? Es sind kleine Wunderwerke der Datensammlung. Sie haben sich in den drei vergangenen Jahrzehnten, in denen wir mit diesem Forschungsprojekt befasst waren, konstant weiterentwickelt und sind zweifellos der Schlüssel zu dem gesamten Projekt, eine große Leistung - wenn ich das mal so sagen darf - in der Kunst der Informationsspeicherung und -bereitstellung auf nicht-digitaler Ebene. Wir haben verschiedene Scanning-Systeme ausprobiert und die exotischsten Software-Pakete ... und kommen immer wieder auf unsere alte Methode zurück. Sie funktioniert, ist flexibel, und dank Tipp-Ex und Kopierer können Dinge in null Komma nichts verändert werden. Unsere Fähigkeit, auf alles und jeden zu reagieren, das an einem beliebigen Ort durch die Tür kommt, ist für unseren Erfolg entscheidend. Ich vermute, dass wir zu mindestens einem Drittel der Zeit, die wir an einem bestimmten Ort verbringen, letztlich doch etwas vollkommen anderes herausfinden, als unser Kunde uns glauben machen wollte. Ein Geschäft hat sechs Gänge und nicht sieben, das Regal-Arrangement ist auf mysteriöse Weise umgedreht worden, oder der interaktive Computer, dessen Wechselwirkung mit dem Kunden wir ja erforschen sollten, ist zwar schon vor einem Monat geliefert worden, seitdem aber nicht zum Einsatz gekommen.

Unsere ersten Track Sheets konnten vielleicht zehn verschiedene Variablen im Konsumentenverhalten unterscheiden. Heute sind wir schon bei etwa vierzig. Das Formular wird für jedes Forschungsprojekt, das wir anstrengen, neu erfunden, aber typischerweise beginnt es mit einer detaillierten Karte, auf der der gesamte Laden dargestellt ist, den wir untersuchen wollen, ob es sich um einen Supermarkt, eine Bankfiliale, einen Parkplatz oder ein Mitnahme-Restaurant à la McDrive oder eine einzelne Abteilung - oder auch nur um einen einzigen Gang - eines großen Kaufhauses handelt. Die Karte zeigt dann jede Tür und jeden Gang, jede Schaufensterauslage, jedes Regal und jede Ablage, jeden Tisch und sämtliche Ladentische. Außerdem befindet sich auf dem Formular Raum für Informationen über den Konsumenten (Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, geschätztes Alter, Beschreibung seiner Kleidung) und über das, was er oder sie im Geschäft tut. Mithilfe des Kurzschriftsystems, das wir im Laufe der Jahre entwickelt haben - einer Kombination von Symbolen, Buchstaben und Nummernzeichen -, kann der Tracker beispielsweise notieren, dass ein kahlköpfiger, bärtiger Mann in rotem Pullover und Bluejeans samstags morgens um 11:07 Uhr das Warenhaus betrat, auf direktem Weg die Abteilung mit dem Brieftaschen-Schaufenster im fünften Stock aufsuchte, insgesamt zwölf Brieftasten in die Hand nahm und berührte, bei vieren das Preisschild begutachtete, sich dann für eine Börse entschied und um 11:16 Uhr zu dem in der Nähe gelegenen Regal mit den Krawatten hinüberging. Dort befühlte er sieben Krawatten, überprüfte bei allen sieben die jeweiligen Materialien, indem er die Wäscheschildchen studierte. Dann las er bei zweien das Preisschild, kaufte jedoch keine und ging schnurstracks zur Kasse, um dort zu bezahlen. Oh, Augenblick. Er blieb bei einer Schaufensterpuppe stehen und las das Preisschild an der Jacke, die sie trug. Auch das muss notiert werden, ebenso wie die Tatsache, dass er um 11:23 Uhr an der Kasse ankam und das Geschäft um 11:30 verließ. Je nach Größe des Geschäfts und Länge des typischen Kundenaufenthalts kann ein Tracker bis zu fünfzig Kunden täglich beobachten. Normalerweise setzen wir an einem Ort verschiedene Tracker ein, und ein einzelnes Projekt kann die gleichzeitige Untersuchung von drei oder vier Locations umfassen. Für große Läden wie Baumärkte oder Großmärkte setzen wir oft zehn bis zwölf Tracker gleichzeitig ein.

Am Ende eines solchen Projekts findet man auf diesen Track Sheets eine Unmenge von Informationen. Sie kommen in unser Büro zurück, wo ein erfahrener Angestellter wieder einen Tag oder mehr damit zubringt, jede Information, jede noch so kleine Notiz auf jedem Track Sheet in eine Computerdatenbank zu übertragen. Im Laufe der Jahre haben wir Tausende von Dollar und unzählige frustrierende Stunden mit Programmierern zugebracht, um eine Datenbank zu entwickeln, die den Anforderungen unserer Arbeit gerecht wird.

Das große Problem besteht darin, dass wir zwar bei jedem Projekt die gleichen Zahlen auf die gleiche Weise notieren, dass wir aber von Fall zu Fall unterschiedlich auf die Anforderungen eines Projekts reagieren müssen - wir müssen verschiedene Daten sammeln oder uns neue Vergleichsmöglichkeiten von Fakten überlegen, die unsere Studien enthüllen. Wir engagierten teure Consultants, die sechs Monate am Stück mit uns verbrachten und versuchten, für uns ein entsprechendes Computerprogramm zu entwerfen. Sie baten uns, alles aufzulisten, was das Programm unserer Ansicht nach können sollte, aber jede Woche fügten wir dieser Liste sechs neue Eigenschaften hinzu, die all ihre Arbeit aus dem vergangenen Monat wieder zunichte machten. Und natürlich müssen wir schnell zwischen den einzelnen Modi wechseln können, wir haben nämlich keine Zeit, das System für jeden Job komplett zu verändern - vielleicht müssen wir heute einen neuen Vergleich für ein bestimmtes Projekt anstellen, benötigen diese Funktion aber in den kommenden sieben Monaten kein einziges Mal mehr.

In den frühen 90er Jahren kam Microsoft Excel daher. Wo hatte es nur die ganze Zeit gesteckt? Es war als Tabellenkalkulationsprogramm gedacht und für Buchhalter geschaffen worden, um die vergleichsweise einfachen Berechnungen anzustellen, die sie benötigen. Die Schönheit dieses Programms jedoch liegt in seiner offenen Architektur. Man kann unter seine Oberfläche dringen, basteln, daran herumfrisieren, es zum Schnurren bringen. Außerdem ist es einfach, Makros zu schreiben oder Lines of Code (LOC), die dem Benutzer leichte Veränderungen ermöglichen. Heute nutzen wir statt Excel andere Programme wie Access und SPSS - aber jahrelang war es eben Excel, das unsere Arbeit erst möglich machte. Es kommt einem so vor, als hätte Microsoft ein sehr hübsches Fahrrad konstruiert, das wir in ein vor Daten nur so strotzendes Geländefahrzeug verwandelten. Als wir Microsoft als Kunden gewinnen konnten und der Firma zeigten, was wir mit Excel alles bewirkt hatten, war man dort sehr erstaunt.

Wenn die Videokassetten zurückkommen, besteht die Aufgabe eines anderen darin, das Filmmaterial zu sichten. Je nach Größe des Ladens gibt es unter Umständen zehn Kameras, die acht Stunden am Tag laufen und sich auf bestimmte Bereiche konzentrieren - den Eingang beispielsweise oder ein bestimmtes Produktregal. Die Filme stellen uns noch mehr harte Fakten zur Verfügung. Wenn ein Kunde beispielsweise herausfinden will, inwiefern ein bestimmtes Design an der Kasse die Müdigkeit der Mitarbeiter beeinflussen kann, setzen wir das Video und eine Stoppuhr ein, um zu stoppen, wie lange der Kassierer oder die Kassiererin benötigt, um einen Preis in die Kasse einzugeben. Den entsprechenden Wert von 10:00 Uhr früh vergleichen wir dann mit dem von 16:00 Uhr.

Die Liste der Details, die wir untersuchen können - der 'Deliverables' [Dieser Begriff stammt aus dem Projektmanagement. Dort versteht man unter 'Deliverables' die Ergebnisse, die eine Untergruppe des Projekts zu einem bestimmten Zeitpunkt vorweisen muss. (Anm. d. Übers.)] - wächst mit jedem neuen Projekt. Bei der letzten Zählung maßen wir etwa eintausend verschiedene Aspekte der Interaktion zwischen Kunde und Geschäft. Demzufolge kennen wir durchaus einige Fakten darüber, wie Menschen sich in einem Geschäft verhalten. Wir können Ihnen sagen, wie viele Männer, die mit einer Jeans in die Umkleidekabine gehen, diese auch kaufen werden und wie dieses Verhältnis bei Frauen ist (65 zu 25 Prozent). Wir können Ihnen sagen, wie viele Personen in der IBM-Cafeteria zunächst die ernährungsphysiologischen Hinweise auf der Cornflakes-Packung lesen, bevor sie sie kaufen (18 Prozent), im Vergleich zu solchen Personen, die bei Subway zu Mittag essen (2 Prozent). Oder wie viele Kunden samstags vormittags einen Computer kaufen (4 Prozent) im Gegensatz zu Kunden, die erst nach 17:00 Uhr das Geschäft betreten (21 Prozent). Oder wie viele Kunden in einem Haushaltswarengeschäft Warenkörbe benutzen (8 Prozent), und wie viele von denen, die Warenkörbe benutzen, tatsächlich etwas kaufen (75 Prozent), im Vergleich zu jenen, die ohne Einkaufskorb Einkäufe tätigen (34 Prozent). Und dann ziehen wir natürlich sämtliche Erkenntnisse aus der Vergangenheit heran, um Methoden zu entwickeln, mit denen die Anzahl der Kunden erhöht werden kann, die Warenkörbe benutzen. Denn die Psychologie des Konsums ist, wenn überhaupt, eine in hohem Maße praktische Disziplin, die die Forschung, den Vergleich und die Analyse nutzt, um Geschäfte und Produkte für den Kunden attraktiver zu machen.

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