Bertelsmannrepublik Deutschland - Eine Stiftung macht Politik

Bertelsmannrepublik Deutschland - Eine Stiftung macht Politik

von: Thomas Schuler

Campus Verlag, 2010

ISBN: 9783593408323

Sprache: Deutsch

304 Seiten, Download: 2010 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Bertelsmannrepublik Deutschland - Eine Stiftung macht Politik



Prolog
Im Februar 2010 haben Liz Mohn und ihr Sohn Christoph einen Termin im Stadtmuseum in Gütersloh. Auf Initiative von Ulrike Naim, die bei der Bertelsmann Stiftung für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, hat das Museum zwei Jahre zuvor eine Dauerausstellung 'Stiften und Schenken' eingerichtet. Nun besichtigt Liz Mohn mit ihrem Sohn zusammen eine Bronzeplastik ihres am 3. Oktober 2009 verstorbenen Mannes. 'Das ist ein guter Platz', sagt sie über den Ehrenplatz, wie die Lokalzeitungen Neue Westfälische und Die Glocke berichten. 'Die Büste passt hier wunderbar hin.' Die Plastik ist eine Arbeit des Bildhauers Hubert Hartmann aus ihrem Heimatort. Der Wunsch, die Büste öffentlich im Museum auszustellen, kam von Bertelsmann. 'Es ist unser Anliegen, die Erinnerung an meinen verstorbenen Mann wachzuhalten', sagt Liz Mohn.
Der Name der Ausstellung ist kein Zufall. Das Begriffspaar 'Stiften und Schenken' gehört im Verständnis der Bertelsmann Stiftung zusammen. Dass sie eine Schau mit diesem Titel anregt und das Unternehmen dem Museum dafür eine Büste von Reinhard Mohn schenkt, ist alles Teil der Botschaft: Reinhard Mohn hat die Allgemeinheit mit seiner Stiftung beschenkt. Stiften ist schenken. Diese Botschaft verbreiten die Mohns und Stiftungsmitarbeiter seit vielen Jahren. Dieses Buch zeigt, dass die Wirklichkeit komplizierter ist. Gemeinnutz im Verständnis von Reinhard Mohn ist erstaunlicherweise oft gerade das, was seinem Unternehmen nutzt. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass die Stiftung sich ungeniert der Politik annähern kann. Der Öffentlichkeit wird diese Verbindung abwechselnd als normal, harmlos oder gemeinnützig vermittelt. Aber ist sie das wirklich?
Am 1. Juli 2010 feierte Bertelsmann den 175. Geburtstag des Unternehmens. Es sollte am Unternehmens- und Stiftungssitz in Gütersloh eine große Feier geben und im September wird Bertelsmann auch in Berlin mit Politikern, Künstlern und Prominenten feiern. Ein Jahr nach dem Tod von Nachkriegs-Unternehmensgründer und Stifter Reinhard Mohn wird man dann sein Lebenswerk rühmen. In seinen eigenen Augen und Worten war das die Stiftung. Mit ihr wollte er den Erfolg seines Unternehmens, den er vor allem mit seinem Führungsstil begründete, auf Staat und Gesellschaft übertragen. Aber Mohns erster Gedanke bei der Gründung der Stiftung galt nicht der Gesellschaft, sondern seinem Unternehmen. Er wollte es über seinen Tod hinaus erhalten, ohne dass die Erben einen Teil verkaufen müssen, um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können.
Gegründet hat Mohn die Stiftung 1977. Im Laufe der Jahre wuchs sie zu einem Institut mit 330 Mitarbeitern und 60 bis 70 Millionen Euro Jahresbudget. Man könnte sie als eine private Forschungsuniversität mit exklusivem Zugang zur politischen und gesellschaftlichen Elite bezeichnen. Teilweise operiert sie als Thinktank, der Diskussionen und Entwicklungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen lenkt und beeinflusst: von Europa- und Bildungspolitik bis zur Gesundheits-, Kommunal-, Verwaltungs- und Arbeitsmarktpolitik. Die Grundlagen für Hartz IV wurden von der Stiftung ebenso entwickelt wie die Studiengebühren und Hochschulräte durchgesetzt. Doch was legitimiert sie dazu? Mit welcher Berechtigung werden einem halb privaten Institut, das sich in Politik und Staat einmischt, die Steuergelder erlassen? Agiert sie wirklich so selbstlos, wie sie behauptet? Was ist ihre Agenda? Wie setzt sie sie durch? Wie erfolgreich und effizient ist sie? Um diese Fragen geht es in dem vorliegenden Buch.
Die Bertelsmann Stiftung ist ein Zentrum der Macht, mit dem die Familie Mohn (die noch 23 Prozent der Bertelsmann AG besitzt, aber sowohl das Unternehmen als auch die Stiftung vollständig kontrolliert) Nähe zur Politik schafft, Einfluss nimmt und ihr Unternehmen erhält. Warum ist die Nähe zur Politik so heikel? Die Stiftung versammelt die Entscheidungsträger des Staats. Sie lädt ein und übernimmt selbstlos die Rechnung, wie sie sagt. Aber es wäre zu einfach, ihr das zu glauben. Die Stiftung will Einfluss nehmen und dazu braucht sie das Ohr und die Sympathie der Personen, die Politik in Gesetze gießen. Dieselben Leute bestimmen allerdings auch über die gesetzlichen Grundlagen, auf der die Stiftung agiert, und daraus resultiert ein grundsätzlicher Konflikt.
Die Stiftung hat sogar die Politik in ihrem ureigensten Bereich beeinflusst. Als das Modell der Bertelsmann Stiftung von angekündigten Reformen des Stiftungswesens 1997 und nach dem Regierungswechsel 1998 bedroht und infrage gestellt wurde, hat sie sich wie keine andere Stiftung in dieser Reformdebatte engagiert, indem Stiftungspersonal in vielen Expertenrunden darüber mitdiskutierte, wie eine solche Reform aussehen sollte, und viele Schriften zum Stiftungswesen herausbrachte. Am Ende stimmte die rot-grüne Bundesregierung, die von der Stiftung in zahlreichen Ministerien beraten wurde, nur jenen Reformideen zu, die der Bertelsmann Stiftung zuträglich waren.
'Es ist uns egal, wer regiert', sagte der Vorstandschef der Bertelsmann Stiftung, Gunter Thielen, im April 2008 der FAZ. Aber ist die Stiftung wirklich unabhängig von der Politik, die sie berät? Die Haltung hinter Thielens Worten könnte heißen: Die Stiftung ist politisch unabhängig. Das wäre gut so. Kritisch betrachtet kann die Aussage auch bedeuten: Die Stiftung steht über der Politik, im Sinne von Einfluss und Macht. Sie ist sich bewusst, dass sie in ihrer Position unangreifbar ist. Denn Politiker sind zu sehr mit sich selbst und ihren Machtkämpfen beschäftigt, als dass sie für Transparenz sorgen und den Einfluss der Stiftung dort begrenzen würden, wo es nötig wäre.
Neben der politischen Einflussnahme muss auch die Frage gestellt werden, ob die Stiftung wirklich unabhängig vom Unternehmen agiert. So versuchte die Stiftung beispielsweise die deutsche Rundfunkpolitik und ihre Aufsicht zu reformieren. Das ist ein Interessenkonflikt, schließlich ist die Bertelsmann AG, an der sie 77 Prozent der Kapitalanteile hält, mit RTL der größte private Rundfunkveranstalter Europas. Ein ähnlicher Interessenkonflikt ergibt sich bei der Beratung von Kommunalpolitikern: Die Stiftung setzt sich für effizientere Verwaltungen ein und rät zu Outsourcing von Dienstleistungen - und das Unternehmen macht ein Geschäft daraus.
Die Stiftung agiert zuweilen wie eine Unternehmensberatung für staatliche Einrichtungen: Ob Arbeitsweise, Kultur und Produktivität in Gemeinden, Finanzämtern, Hochschulen oder Krankenhäusern - Reinhard Mohn ließ alles messen. Einmal suchte er nach einer Messgröße, um den Erfolg von Partnerschaft und Ehen zu messen, weil gescheiterte Beziehungen und Scheidungen die Gesellschaft viel Geld kosteten. (Das Projekt einer halbwissenschaftlich agierenden Partneragentur wurde indes nie verwirklicht.) Im Alter entwickelte er großes Interesse an Religiösität und ließ ihre Kraft weltweit in einem sogenannten Religionsmonitor messen. Am liebsten würde er auch den Erfolg von Politikern messen lassen, sagte er einmal. Mohn wollte alles messen und den Menschen Vergleichsdaten zukommen lassen, nur eines ließ er außer Acht: die Effizienz seiner Stiftung und ihren Nutzen für die Allgemeinheit.
Wie sehr ist die Bertelsmann Stiftung dem Allgemeinwohl verpflichtet? Immerhin agiert die Stiftung steuerfrei. Sind die Millionen an Ausgaben gerechtfertigt? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) berichtete 2007, seit dem Amtsantritt von Liz Mohn breite sich eine 'neue Großmannssucht aus' und ein Bankett für Politik und Gesellschaft jage das nächste, 'bei zugleich schwindendem intellektuellen Ertrag'. Kongresse wie das Internationale Bertelsmann Forum kosten angeblich bis zu einer Million Euro; nebst Erster-Klasse-Flüge für ausländische Politiker, wie die FAS berichtete.
Ist eine Stiftung, die die Politik beeinflusst, noch die Privatangelegenheit der Familie Mohn? Wohl kaum. Die Öffentlichkeit hat in Deutschland bei Stiftungen aber nichts zu sagen - im Unterschied zu den USA, beispielsweise. Stifter und ihre Mitarbeiter betonen gerne, dass ein Stifter wie Reinhard Mohn fast sein ganzes Vermögen der Allgemeinheit geschenkt hat. Das ist eine geschickte PR-Formulierung. In Wirklichkeit gehören Stiftungen sich selbst und die eigentliche Frage ist, wer sie kontrolliert. Im Falle der Bertelsmann Stiftung ist das nicht die Allgemeinheit, sondern die Familie Mohn. Die Öffentlichkeit stellt dieses System nicht lautstark genug infrage. Politiker sehen keinen Bedarf zu handeln.
Transparenz ist der Stiftung wichtig. Sagt sie. Als sie 2002 ihr 25-jähriges Bestehen feierte, vergab sie ihren Carl Bertelsmann-Preis, der nach dem Gründer des gleichnamigen Medienunternehmens benannt ist, an Transparency International. Die Organisation sorge für Transparenz und bekämpfe dadurch erfolgreich Korruption, hieß es zur Begründung. Transparenz sei die Grundlage für Wettbewerb und Effizienz, betonte damals der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Gunter Thielen. Besonders wichtig sei Transparenz für den, der dem Gemeinwohl dienen wolle. Denn 'zur Legitimierung notwendiger Reformanstöße ist Offenheit eine wesentliche Bedingung.'
All das trifft in besonderer Weise auch auf die Bertelsmann Stiftung selbst zu. Aber ist sie transparent? Oberflächlich ja. Sie veröffentlicht einen aufwendig gestalteten Jahresbericht, hält eine Bilanzpressekonferenz und beschäftigt mehrere Pressesprecher. Doch nach welchen Kriterien funktioniert sie? Wer bestimmt und kontrolliert sie? Erhält sie vom Gewinn des Unternehmens den Anteil, der ihr zusteht? Warum hat sie die Satzung so umfassend und weitreichend geändert, dass sie auf alle Ewigkeit einzig der Familie Mohn verantwortlich ist? Wieviel Geld gibt sie in Form von aufwendigen Konferenzen aus, um Zugang zur Politik zu erhalten? Wie teuer kommen die Sangeswettbewerbe, wie viel kosten teure Reisen ins Ausland - angeblich immer im Dienst des Gemeinwohls? Wer Details wissen will zu ihrem Vermögen und nach welchen Kriterien sie Geld ausgibt, der stößt schnell an Transparenzgrenzen.
Dabei herrscht in der Öffentlichkeit ein Wissensdefizit über Vorgehen und Inhalte der Stiftung, wie eine Untersuchung der Stiftung ergab. Wie sehr die Stiftung ihre Interessen vertritt und durchzusetzen versucht, ist offenbar nicht bekannt. Gemeinsam mit dem F.A.Z.-Institut hat die Stiftung 2001 eine Imagestudie erarbeitet; ihre Ergebnisse treffen vermutlich im Wesentlichen auch heute noch zu. Demnach gehört die Bertelsmann Stiftung neben der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Volkswagen-Stiftung zu den vier bekanntesten Stiftungen in Deutschland. 90 Prozent der Entscheider kennen sie. Aber nur 16 Prozent konnten konkrete Projekte richtig benennen. Die Stiftung zog in ihrem Mitarbeitermagazin Einblick gegenüber ihren Mitarbeitern in der Aussgabe 9/2001 folgende Bilanz aus der Imageanalyse: 'Die Entscheider haben ein eher diffuses Bild von den Aktivitäten und Projekten. So sind zum Beispiel rund 70 Prozent der falschen Auffassung, die Bertelsmann Stiftung vergebe Stipendien zur wissenschaftlichen Nachwuchsförderung. Ihr ausdrücklich operativer Charakter ist offenbar nicht bekannt.' Ausgerechnet der operative Charakter ist also nicht hinreichend transparent, obwohl sich gerade daraus Interessenkonflikte und berechtigte Fragen ergeben.
Ich habe die Stiftung jahrelang beobachtet und zahlreiche Veranstaltungen mit Liz und Reinhard Mohn besucht - etwa als Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede zur Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises hielt, als sie als Oppositionsführerin ein Buch von Reinhard Mohn vorstellte oder als Bundespräsident Johannes Rau 2002 die Festrede zum 25-jährigen Jubiläum hielt. Die Mohns selbst wollten sich nicht befragen lassen. Ihre Stiftung hat diese Recherche zwar unterstützt, indem sie Dutzende von Schriften und Studien zugänglich machte und Mitarbeiter teilweise zu Auskünften und Gesprächen bereit waren. Sobald die Fragen aber tiefer gingen und Interessenkonflikte, die strikte Kontrolle durch die Familie Mohn oder die Verwendung der Gelder betrafen, endete das Bekenntnis zur Transparenz.
Dabei wirft die Stiftung nicht nur mit Projekten, sondern bereits mit ihrer Konstruktion und Mittelzuteilung Fragen auf. Wieso erhält sie für 77 Prozent der Anteile an der Bertelsmann AG 60 bis 80 Millionen Euro jährlich, während dem Investor Albert Frère für 25 Prozent jährlich 120 Millionen Euro zugesagt waren? Sollte die Öffentlichkeit nicht darauf dringen, dass sie erhält, was ihr zusteht? So einzigartig die Stiftung in ihrer Nähe zur Politik und in ihrem Bestreben ist, Einfluss auf Gesetze zu nehmen, so beispielhaft ist sie in ihrer Konstruktion für viele unternehmensverbundene Stiftungen. Sie sind gemeinnützig, stellen aber das Wohl des Unternehmens an die erste Stelle. Das Buch beleuchtet diesen Missstand des deutschen Stiftungswesens am Beispiel der Bertelsmann Stiftung und zeigt, warum eine Reform mißlang.
Als ich am Ende der Recherche in 44 Punkten rund 100 Fragen einreiche (ein erster Teil meiner Fragen) und die Vorstandsmitglieder zum wiederholten Mal um ein Gespräch bitte, antwortet Sprecherin Karin Schlautmann: 'Dem Informationswunsch der Öffentlichkeit in inhaltlichen und finanziellen Fragen kommen wir nach unserer Einschätzung umfassend in den Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung nach. Daher möchte ich Ihnen mitteilen, dass kein Vorstandsmitglied für ein Interview zur Verfügung steht. Die Bertelsmann Stiftung nimmt auch zu den 44 Punkten, die Sie als Fragen eingereicht haben, keine Stellung.'
Was nach Meinung der Stiftung umfassend ist, erlaubt kein umfassendes Bild der Arbeit und Finanzierung. Die Stiftung verweist gerne darauf, dass sie national und international tätig ist. Aber als der Vorstand Ende April den Jahresbericht vorstellt, sind nur bestimmte Journalisten erwünscht. Auf meine Bitte um eine Einladung zur Jahrespressekonferenz antwortet Pressesprecher Andreas Henke: 'Wie schon in den vergangenen Jahren richtet sich die Einladung zur Jahrespressekonferenz der Bertelsmann Stiftung an Journalisten in der Region Ostwestfalen. Aus diesen Gründen können wir Ihnen leider keine offizielle Einladung zusenden.'
Transparenz ist Reinhard Mohns Vermächtnis, so wie es seine Erben darstellen. Sie zitierten ihn im April 2010 mit den Worten: 'Transparenz fördert in der Gesellschaft und in der internationalen Zusammenarbeit Verlässlichkeit und Vertrauen.' Seine Idee, Leistungen vergleichbar zu machen, alles zu messen, folgte stets dem Gedanken der Transparenz. Was offen liegt, darüber kann diskutiert werden und das kann verbessert werden. Warum nimmt sich die Stiftung davon aus? Warum nehmen Politik und Öffentlichkeit sie davon aus?
Vor sechs Jahren setzte sich die Stiftung für ein Informationsfreiheitsgesetz und das Recht der Bürger auf Akteneinsicht in Behörden ein. Das ist im Sinne der Bürger. Nordrhein-Westfalen erhielt ein solches Gesetz, aber Stiftungen wurden davon ausgenommen, obwohl sie gemeinnützig und steuerbefreit sind. Transparenz gilt für andere. Die Bertelsmann Stiftung bleibt von der Öffentlichkeit weitgehend unkontrolliert. Dieses Buch ist ein Anfang, sie ein wenig transparenter zu machen.

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