Mediengewalt als pädagogische Herausforderung - Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter

Mediengewalt als pädagogische Herausforderung - Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter

von: Ingrid Möller, Barbara Krahé

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2013

ISBN: 9783840924453

Sprache: Deutsch

196 Seiten, Download: 12193 KB

 
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Mediengewalt als pädagogische Herausforderung - Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter



Inhaltsanalysen aus verschiedenen Ländern zeigen, dass Gewaltinhalte im Fernsehprogramm eine prominente Stellung einnehmen. Für Deutschland fanden Grimm, Kirste und Weiß (2005) bei der Auswertung von 1162 Programmstunden einen Gewaltanteil von 58%. Bedeutsam ist allerdings nicht nur die Anzahl der gezeigten Gewaltakte per se, sondern die Art der Darstellung. Ein Großteil der Gewalttaten in Filmen wird von den „Guten“ begangen, die Aggression als legitimes Mittel einsetzen, die „Bösen“ zu besiegen. Die negativen Folgen auch wiederholter Gewalteinwirkung für die Opfer werden kaum thematisiert, die meist männlichen Täter werden in der Regel für ihre Handlungen nicht bestraft. Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil werden außerdem Waffen eingesetzt. Die Präsentation der Gewaltszenen ist in ca. 40 % der Fälle in lustige Kontexte eingebettet. Vor allem in Kindersendungen lässt sich die Kombination von Gewalt mit Komik wiederholt beobachten, man denke zum Beispiel an Trickfilmserien wie Die Simpsons und die in diese Serie eingebetteten Cartoons Itchy & Scratchy, die als eine moderne und gewalthaltigere Version von Tom und Jerry-Trickfilmen gelten können (zusammenfassend siehe z. B. Potter, 1999).

Neben der Nutzung von Fernsehen und Internet spielt die Beschäftigung mit Bildschirmspielen im Freizeitverhalten von Jugendlichen eine wichtige Rolle. Die bereits erwähnte JIM-Studie zur Mediennutzung der 12bis 19-Jährigen aus dem Jahr 2011 ergab, dass 52 % der Jungen und 15 % der Mädchen dieser Altersgruppe mehrmals pro Woche oder täglich elektronische Spiele am Computer oder an Konsolen nutzen (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest, 2011b). Hinzu kommt, dass Jungen fast ein Viertel der Zeit, die sie täglich im Internet verbringen, für OnlineSpiele verwenden. Mädchen hingegen beschäftigen sich nur in acht Prozent ihrer Online-Zeit mit Spielen. Zur Dauer des Spielens pro Tag gaben Jungen im Schnitt 81 Minuten an Werktagen und 116 Minuten am Wochenende an. Mädchen berichten wesentlich kürzere Zeiten mit 35 Minuten an Werktagen und 42 Minuten am Wochenende. Ein Fünftel aller Befragten gab an, werktags mehr als zwei Stunden am Stück zu spielen (29% der Jungen und 10 % der Mädchen).

Geschlechtsunterschiede finden sich auch bei den bevorzugten Spielinhalten, wobei Jungen eine stärkere Präferenz für Gewaltinhalte zeigen als Mädchen. Laut JIM-Studie bejahten 51% der Jungen, aber nur 10% der Mädchen die Frage nach der Nutzung „brutaler bzw. besonders gewalthaltiger Computer-, Konsolen oder Onlinespiele“. Auf die Frage, ob Freunde solche Spiele spielten, antworteten 35 % der Mädchen und 73 % der Jungen mit „ja“. Gewalthaltige Spiele nehmen im Medienkonsum von Jungen also einen festen Platz ein. Dies zeigt sich auch in den erfragten Lieblingsspielen. Schon die 14und 15-Jährigen nannten den laut USK1 erst ab 18 Jahren freigegebenen Ego-Shooter Call of Duty auf Platz 2 der beliebtesten Spiele. Auf den vorderen Rangplätzen befanden sich aber auch gewaltfreie Titel wie die Spiele der FIFAReihe (Fußball) oder Die Sims (Simulation).

Inhaltsanalysen zur Bestimmung des Gewaltgehalts von Videound Computerspielen ergeben für dieses Medium höhere Anteile als für das Fernsehen. So fanden Haninger und Thompson (2004) an einer Stichprobe von 396 US-amerikanischen Spielen mit der Einstufung T (d. h. für Teenager geeignet) des Entertainment Software Rating Board 2, dass 94 % Darstellungen von Gewalt enthielten. Smith, Lachlan und Tamborini (2003) identifizierten Gewaltinhalte in 90% der getesteten für Jugendliche und Erwachsene freigegebenen Spiele. Von den ab 6 Jahren freigegebenen (E) Spielen wurde immerhin noch über die Hälfte (57%) als gewalthaltig klassifiziert. Die Ergebnisse aus den US-amerikanischen Studien sind auch für Deutschland relevant, da viele der erfassten Spiele auch hier weithin genutzt werden. Eine Auswertung der USK-Einstufungen von Computerspielen durch Höynck, Mössle, Kleimann, Pfeiffer und Rehbein (2007) zeigte ebenfalls, dass auch für Kinder und Jugendliche freigegebene Spiele substanzielle Gewaltinhalte enthielten. Damit ist festzuhalten, dass Fernsehprogramme und vor allem Bildschirmspiele zu einem beträchtlichen Anteil Gewaltthemen enthalten, die Jugendlichen zugänglich sind und von ihnen gerne genutzt werden.

4.3 Attraktivität von Gewaltdarstellungen in Bildschirmmedien

Angesichts der verbreiteten Nutzung gewalthaltiger Filmund Fernsehinhalte sowie Bildschirmspiele bereits im Kindesund Jugendalter stellt sich die Frage nach den Gründen, die die Attraktivität dieser Medieninhalte, insbesondere für die Jungen, erklären können. Zur Frage nach der Anziehungskraft gewalthaltiger Medien liegen bislang nur wenige Studien vor. Als theoretischer Rahmen für die in der Literatur diskutierten Motive für den Gewaltkonsum kann der Nutzenund Belohnungsansatz (vgl. Rubin, 2009) dienen. Dieser Ansatz besagt, dass Medien bzw. Medieninhalte gezielt zur Befriedigung bestimmter situationsspezifischer oder überdauernder Bedürfnisse ausgewählt werden und somit dem Medienkonsum ein Belohnungscharakter zukommt.

Im Hinblick auf gewalthaltige Spiele betont Kirsh (2012) das Bedürfnis nach Grenzüberschreitungen durch Gewaltaktionen, die im realen Leben tabuisiert sind, sowie das Bedürfnis, andere zu dominieren. Zudem zeigten Studien, dass sich hoch aggressive Personen in besonderem Maße zu gewalthaltigen Medien hingezogen fühlten (z. B. Bushman, 1995) und innerhalb des Spiels aggressiver agierten (Peng, Liu & Mou, 2008). Diese Befunde deuten darauf hin, dass von gewalthaltigen Medieninhalten für Personen mit einer höheren Affinität zu aggressivem Verhalten eine besondere Anziehungskraft ausgeht. Weiterhin sind nach Kirsh (2012) eine Reihe von Motiven für den Konsum gewalthaltiger Medien bedeutsam:

• Soziale Motive im Sinne der Förderung eines Gemeinschaftsgefühls, sozialer Vergleichsprozesse und auch des sozialen Status.
Medienkonsum allgemein und auch der Konsum gewalthaltiger Inhalte sind oft soziale Aktivitäten, die nicht nur mit anderen im gleichen Raum, sondern Dank der Vernetzung im Internet auch an verschiedenen Orten (z. B. Online-Spiele) ausgeübt werden. Medieninhalte sind außerdem ein wichtiger und beliebter Kommunikationsgegenstand unter Jugendlichen. Zu wissen, was im Fernsehen oder im Bereich Spiele gerade „angesagt“ ist, fördert die Anerkennung durch die Peers und das Zugehörigkeitsgefühl in der Gleichaltrigengruppe. Gerade unter Jungen kann das Aushalten besonders brutaler Horrorfilme, das Beherrschen von sogenannten Finishing Moves in Computerspielen, d. h. brutalen und für den Sieg über den Gegner eigentlich irrelevanten kämpferischen Fähigkeiten der eigenen Spielfigur oder Spezialwissen über beliebte Filmoder Spielereihen wie z.B. Fast and Furious oder GTA eine Erhöhung des sozialen Status bewirken.

• Bedürfnis nach Spannung und Risiko.
Actionund Horrorfilme sowie Gewaltspiele bewirken bei den Zuschauerinnen und Zuschauern oder den Spielerinnen und Spielern eine Erhöhung der körperlichen Erregung, messbar z.B. über die Herzfrequenz. Sie befriedigen damit sehr gut das im Jugendalter ausgeprägte Bedürfnis nach neuen und aufregenden Erlebnissen: Die Lust an der Aufregung, das Bedürfnis nach dem Erleben von Risiko in der virtuellen Realität und einem gewissen „Kick“, der Nervenkitzel bei hoher Spannung im Film oder Spiel sowie das aufregende Gefühl der Rebellion beim Konsum nicht altersgerechter Medienprodukte spielen bei der Medienauswahl eine bedeutende Rolle.

• Identitätsentwicklung.
Die Attraktivität gewalthaltiger Spiele ist auch unter dem Aspekt der Identitätsentwicklung im Jugendalter zu betrachten (Jansz, 2005). So können beispielsweise Jungen hypermaskuline Identitäten und Rollenmuster erproben, und die Spieler und Spielerinnen können sich mit Gefühlen wie Angst, Ärger oder Ekel ohne reale Konsequenzen auseinandersetzen. Durch die interaktive Gestaltung der Spielabläufe können sie Art und Intensität der erlebten Emotionen entsprechend ihrer jeweiligen Bedürfnislagen steuern und dosieren.

4.4 Aktuelle Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Mediengewaltkonsum und Aggression

Führt regelmäßiger Konsum gewalthaltiger Medieninhalte nachweisbar zu einer erhöhten Aggressionsneigung oder gar Gewaltbereitschaft? Diese Frage wird in der Öffentlichkeit seit Jahren kontrovers diskutiert. Das Spektrum der in den Medien vertretenden Positionen reicht dabei von der Verursachung extremer Taten, wie schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen, bis hin zur Leugnung jeglicher Beziehung zwischen Mediengewaltkonsum und Aggressionsbereitschaft. Daher sei den folgenden Ausführungen vorangestellt, dass allen zitierten Forschungsarbeiten ein multikausales Verständnis der Aggressionsentstehung zugrundeliegt: Aggression im Kindesund Jugendalter ist ein Produkt verschiedener sich wechselseitig bedingender und ergänzender Faktoren. Der Konsum gewalthaltiger Medieninhalte ist in diesem komplexen Zusammenspiel nicht mehr – aber auch nicht weniger – als einer von vielen Einflüssen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung aggressiver Verhaltensmuster beitragen können. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass der Einfluss des Mediengewaltkonsums auch unter Berücksichtigung einer Vielzahl anderer Risikofaktoren in der Erklärung aggressiven Verhaltens nachweisbar ist.

Rückblickend auf über 50 Jahre Forschung zu den Auswirkungen von Gewaltdarstellungen in Filmen und Fernsehprogrammen auf das aggressive Verhalten der Zuschauer und Zuschauerinnen ist aufgrund der vorliegenden Datenlage festzustellen, dass sich die wiederholte Darbietung von Gewaltszenen in der Tat aggressionserhöhend auswirken kann (zusammenfassend vgl. z. B. Möller, 2006; Selg, 2003). Mediengewalt erhöht die Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten und schwächt die Hemmfaktoren, die das Ausleben von Aggressionen unterdrücken. Ebenso wie für Filmund Fernsehgewalt ist der Zusammenhang mit der Aggressionsneigung auch für den Konsum gewalthaltiger Spiele gut belegt (siehe auch die Zusammenfassung von Witthöft, Koglin & Petermann, 2012). Es gibt bislang aber nur vereinzelt Untersuchungen zu der Frage, inwieweit der Filmkonsum und die interaktive Ausübung von Gewalt im Spiel ein unterschiedliches Wirkpotenzial aufweisen. Im Hinblick auf die aggressionssteigernde Wirkung der wiederholten Gewaltmediennutzung scheint es jedoch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Medientypen zu geben, weshalb im Folgenden die Forschungsmethoden, Studienbefunde und theoretischen Ansätze zusammenfassend für gewalthaltige Fernsehsendungen, Filme und Bildschirmspiele beschrieben werden.

4.4.1 Untersuchungsmethoden

Um die kurzfristigen Auswirkungen von Mediengewaltkonsum auf aggressives Denken, Fühlen und Handeln zu untersuchen, wurden bereits seit den frühen 1960er Jahren Laborexperimente durchgeführt. Typischerweise sieht eine Gruppe der vorrangig erwachsenen Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst einen Film mit gewalthaltigem Inhalt oder spielt ein gewalthaltiges Computerspiel, eine zweite Gruppe sieht einen gewaltfreien Film oder spielt ein gewaltfreies Spiel. Im Anschluss werden dann aggressive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen gemessen. So kann z. B. die Hypothese geprüft werden, dass Personen, die zuvor Gewaltinhalten ausgesetzt waren, auf Provokationen aggressiver reagieren als diejenigen, die zuvor gewaltfreie Inhalte genutzt haben. Der Vorteil der Laborexperimente liegt darin, dass die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip den Bedingungen mit und ohne Gewaltkonsum zugewiesen und in den beiden Bedingungen solche Medien verglichen werden können, die sich ausschließlich im Hinblick auf das interessierende Merkmal des Gewaltgehalts unterscheiden. Nachteilig sind die Künstlichkeit des im Labor messbaren aggressiven Handelns, welches in der Regel kein alltagstypisches Verhalten darstellt, sowie die Kurzfristigkeit der beobachteten Effekte. Ein anderer Zugang zur Erforschung des Zusammenhangs zwischen regelmäßigem Mediengewaltkonsum und dem Aggressionspotenzial ist die Methode der einmaligen Befragungen. Hierbei werden Selbstauskünfte der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu ihrem Konsum gewalthaltiger Filme, Fernsehsendungen und Bildschirmspiele mit Maßen des aggressiven Verhaltens in Beziehung gesetzt, die ebenfalls von den Befragten selbst oder durch Fremdberichte von Eltern, Lehrkräften oder Peers gewonnen werden. Der Vorteil dieser Methode liegt zum einen darin, dass alltägliches Verhalten erfasst werden kann, zum anderen können viel größere Stichproben in die Analysen einbezogen werden, als dies bei Laborexperimenten möglich ist. Hunderte Studien weltweit fanden einen Zusammenhang zwischen Mediengewaltkonsum und Aggression (zusammenfassend vgl. z. B. Anderson et al., 2003 oder Strasburger & Wilson, 2003). Eine Aussage über die Richtung des Zusammenhangs (ob der Mediengewaltkonsum zur Aggression führt oder Aggression zu einer Präferenz für Mediengewalt) ist allerdings in diesen Einmalbefragungen nicht möglich.

Eine dritte methodische Zugangsweise bilden Längsschnittstudien, in denen dieselben Personen zu mehr als einem Zeitpunkt in Bezug auf Mediengewaltkonsum und Aggressionsneigung untersucht werden. Mittlerweile liegt eine Reihe von Studien vor, die die längsschnittliche Beziehung zwischen Gewaltkonsum und Aggression mittels wiederholter Befragungen untersucht haben.

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