Verhaltenstraining für Schulanfänger - Ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen

Verhaltenstraining für Schulanfänger - Ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen

von: Franz Petermann, Heike Natzke, Nicole Gerken, Hans-Jörg Walter

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2013

ISBN: 9783840924880

Sprache: Deutsch

335 Seiten, Download: 6157 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Verhaltenstraining für Schulanfänger - Ein Programm zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen



3 Trainingsbereich: Emotionale Kompetenzen

Erst der kompetente Umgang mit eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer ermöglicht es uns, ein angemessenes Verhaltensrepertoire zu entwickeln, befriedigende Beziehungen zu knüpfen, aber auch uns vor Gefahren zu schützen. Wie wir in Kapitel 2 sehen konnten, sind Emotionen auf praktisch allen Stufen kognitiver Verarbeitung sozialer Informationen mitbeteiligt. Doch was versteht man unter emotionalen Kompetenzen?

Petermann und Wiedebusch (2008) fassen unter dem Begriff der emotionalen Kompetenz die folgenden Aspekte zusammen:

– den eigenen mimischen Ausdruck von Emotionen,

– das Erkennen des mimischen Emotionsausdrucks anderer,
– den sprachlichen Emotionsausdruck,
– das Emotionswissen und -verständnis und
– die selbstgesteuerte Emotionsregulation.

Es existieren mittlerweile verschiedene Konzepte zur emotionalen Kompetenz. Ein weithin anerkanntes Konzept wurde von Saarni (1999; 2002) entwickelt. In diesem Konzept werden emotionale Kompetenzen vor allem im Hinblick auf ihren Nutzen für soziale Interaktionen betrachtet. Demnach liegt emotionale Kompetenz vor, wenn Kinder emotionale Fertigkeiten in sozialen Interaktionen anwenden und so selbstwirksames Verhalten zeigen. Man kann also von emotionaler Selbstwirksamkeit sprechen, wenn:
– Kinder sich darüber bewusst sind, dass ihr eigener Emotionsausdruck andere Personen beeinflusst und
– sie gelernt haben, ihr Verhalten strategisch zu steuern, um gewünschte Reaktionen bei anderen hervorzurufen.

Saarni (2002) beschreibt acht emotionale Schlüsselfertigkeiten, die Kinder in sozialen Beziehungen erlernen und stark von familiären und kulturellen Einflüssen geprägt sind.

1. Die eigenen Gefühle erkennen. Erst mit dem Erkennen und dem Bewusstsein für eigene Gefühle wird die Voraussetzung geschaffen, über Gefühle zu reden. Ist man sich der eigenen Gefühle bewusst, kann man anderen mitteilen, wie es einem geht. Beim Erleben belastender Gefühle wird es so leichter, nach Lösungen zu suchen.

2. Die Gefühle anderer erkennen und verstehen. Es ist notwendig, das Ausdrucksverhalten anderer zu erkennen, situationsbedingte Ursachen für Emotionen zu verstehen und zu begreifen, dass emotionale Zustände höchst subjektiv sind. Durch das Verständnis der Subjektivität emotionalen Erlebens wird deutlich, dass Menschen in gleichen Situationen sehr verschiedene Gedanken und Gefühle haben können. Die Fähigkeit, Emotionen anderer zu erkennen, führt dazu, das eigene Handeln besser auf den Interaktionspartner abstimmen zu können. Erst wenn ein Kind beispielsweise erkennt, dass ein anderes Kind traurig ist, kann es ihm helfen und es trösten.

3. Die Fähigkeit, altersangemessenes Emotionsvokabular verstehen und einsetzen zu können. Das Emotionsvokabular variiert mit dem Alter, der kulturellen Zugehörigkeit und Subkultur. Mit zunehmendem Alter wird es notwendig, dabei auch soziale Rollen und Verhaltenskonventionen mit zu berücksichtigen. So wird mit fortschreitender Kindheit gelernt, dass es zum Beispiel nicht in jeder Situationen angemessen ist, aufrichtig mitzuteilen, wie man sich gerade fühlt.

4. Sich in andere Einfühlen können. Diese Fähigkeit geht über das bloße Erkennen des Gefühls hinaus. Empathisch auf andere zu reagieren bedeutet, die Gefühle anderer nachzuempfinden und sich in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit gilt als eine wesentliche Voraussetzung für prosoziales Verhalten.

5. Wissen, dass Gefühlserleben und Gefühlsausdruck unterschiedlich sein können (Maskierung). Die Fertigkeit eigene Gefühle vor anderen verbergen zu können, diese also zu „maskieren“, ist für ein Leben in der Gemeinschaft notwendig. Würden wir immer sofort deutlich zeigen, wie wir uns fühlen, würde ein friedlicher Umgang mit anderen deutlich erschwert. Man würde häufiger der vollen Stärke, der Wut oder der Trauer des jeweils anderen ausgesetzt sein. So wäre beispielsweise ein „diplomatischer Umgang“ in Krisensituationen nahezu unmöglich. Die Fähigkeit zur Maskierung hilft uns, eigene Ziele zu erreichen, sich beispielsweise zu schützen. Die Erkenntnis, dass es in bestimmten Situationen sinnvoll ist, eigene Emotionen zu maskieren, bezieht sich sowohl auf die eigene Person als auch auf andere Personen. Ein Kind lernt, dass nicht nur es selbst eigene Gefühle maskiert, sondern auch andere. In diesem Zusammenhang lernen Kinder zudem, wie ihr Ausdrucksverhalten andere beeinflusst und das Wissen darüber, wie es wirkt.

6. Mit belastenden Emotionen und Problemsituationen angemessen umgehen können. Dies schließt den Einsatz von Selbstregulationsstrategien ein, mit denen die Dauer und Intensität negativer Emotionen verringert werden können. Kinder, die sich nicht von ihren Emotionen überwältigen lassen, können sich besser auf soziale Situationen einstellen. In einer Konfliktsituation können sie sich beispielsweise flexibler mit Problemen auseinandersetzen und dabei auch die Gefühle und Interessen anderer berücksichtigen.

Gefühle werden reguliert, indem man sie vermeidet, hemmt, aufrecht erhält oder verändert (vgl. Eisenberg, Smith, Sadovsky & Spinrad, 2004; Eisenberg & Spinrad, 2004). Dadurch wird das Auftreten, die Art, die Intensität oder die Dauer von Emotionen beeinflusst. Durch die Regulation von Gefühlen können so körperliche oder soziale Anforderungen bewältigt werden, beispielsweise, indem man die Aufmerksamkeit umlenkt, Selbstberuhigung einsetzt, Hilfe sucht und Verhalten in Abhängigkeit von der Situation hemmt oder aktiviert. Typische Emotionsregulationsstrategien, die im Kindesalter häufig auftreten, werden in Kasten 2 zusammengefasst.

Kasten2: EmotionsregulationsstrategieninderKindheit(nachPetermann&Wiedebusch,2008)
• Interaktive Strategien (mit anderen reden, um Hilfe bitten),
• Aufmerksamkeitslenkung (die eigene Wut regulieren, indem man an etwas „Schönes“ denkt),
• Selbstberuhigungsstrategien (Selbstgespräche oder Verhaltensrituale),
• Rückzug aus der emotionsauslösenden Situation (Weggehen oder Abwenden),
• Manipulation/Veränderung der Situation (z. B. Gegenstand entfernen),
• kognitive Regulationsstrategien (Gefühle oder die Situation herunterspielen,
die Situation neu bewerten),
• externale Regulationsstrategien (z. B. Wut und Ärger körperlich ausagieren) und
• Einhaltung von Darbietungsregeln (eigene Emotionen verstecken oder andere vorspielen).

7. Wissen, dass soziale Beziehungen durch emotionale Kommunikation mitgeprägt werden.
Dies beinhaltet das Wissen, dass soziale Beziehungen zu anderen Personen von der Art und Weise geprägt sind, in der über Emotionen gesprochen wird. Hier ist weniger die Art der situativen Auseinandersetzung mit Emotionen gemeint, sondern der Stellenwert, den Emotionen in Beziehungen situationsübergreifend erhalten. Es gibt Personen, mit denen Kinder intensiver und offener über eigene Gefühle sprechen (z. B. die Mutter) als mit anderen. Die Art und Weise wie über Emotionen gesprochen wird, beeinflusst die Qualität der Beziehung. So werden bestimmte Emotionen nur sehr vertrauten Personen mitgeteilt, da diese Informationen auch verletzlich machen.
8. Emotionales Selbstwirksamkeitserleben. Diese Fähigkeit beinhaltet das Akzeptieren der eigenen Emotionen, unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind. Das Akzeptieren basiert auf der Überzeugung, dass die erlebten Gefühle gerechtfertigt sind und unter Achtung der eigenen Wertvorstellungen bewältigt werden können. Diese Fähigkeit beeinflusst damit erheblich das Selbstwertempfinden einer Person. Diese anspruchsvolle Fähigkeit setzt allerdings erst ab dem Jugendalter ein.

Die Auswahl dieser acht Schlüsselfertigkeiten basiert ausschließlich auf empirischen Befunden zur emotionalen Entwicklung. Saarni (2002) stellt fest, dass es über die genannten Schlüsselfertigkeiten hinaus, weitere geben mag, die hier noch nicht genannt sind. Die Entwicklung dieser Fertigkeiten kann nach Saarni nur in sozialen Beziehungen gelingen, das heißt in den Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern, den Gleichaltrigen oder auch Lehrern.

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