Lehrbuch Organisationspsychologie

Lehrbuch Organisationspsychologie

von: Heinz Schuler, Klaus Moser

Hogrefe AG, 2019

ISBN: 9783456959979

Sprache: Deutsch

712 Seiten, Download: 8581 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Lehrbuch Organisationspsychologie



1 Einleitung


Heinz Schuler und Klaus Moser

1. Organisationspsychologie als angewandte Grundlagenforschung 11

2. Verantwortung für organisationspsychologisches Handeln 12

3. Zielsetzung und Gliederung dieses Lehrbuchs 13

4. Lesehinweise 14

5. Literatur 16




Die Organisationspsychologie befasst sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen in Organisationen, genauer gesagt damit, das Verhalten (und, soweit möglich, auch das Erleben) zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären, in Entscheidungszusammenhängen zu prognostizieren und in Interventionsfällen auch zu verändern. Man mag dabei zunächst daran denken, auf welche Weise Arbeitsmerkmale oder die Organisationsstruktur das Verhalten, Befinden und die Zusammenarbeit der Menschen beeinflussen. Dies sind wichtige Fragestellungen der Organisationspsychologie. Doch unsere Betrachtung wäre einseitig, würden wir uns allein mit den Wirkungen organisationaler Größen auf das Verhalten beschäftigen und nicht auch mit der anderen Seite des Zusammenhangs, mit dem Einfluss von Individuen auf Organisationen und ihre Komponenten oder Subsysteme. Führungsstil und Organisationsklima in einem Unternehmen, beispielweise, sind nicht nur „unabhängige Variablen“, von denen das Handeln und Befinden der Menschen im Arbeitsleben beeinflusst wird; sie sind ihrerseits wiederum abhängig von den Fähigkeiten und dem Autonomiebedürfnis der Mitarbeiter, sind also auch das Ergebnis und nicht nur die Bedingung von Interaktionsprozessen.

Gleiches gilt mehr oder weniger, aber im Prinzip durchgängig, für alle anderen Merkmale einer Organisation. So sind Maßnahmen der Personalentwicklung einerseits Bedingung oder Ursache wachsender Kompetenz der Mitarbeiter, andererseits sind sie vernünftigerweise abzuleiten aus dem Vergleich des derzeitigen Qualifikationsstands der Mitarbeiter mit den derzeitigen Anforderungen der Tätigkeit oder den diesbezüglichen Erwartungen für die Zukunft. Auch Arbeitsplätze sind einerseits unmittelbare Bedingungen der Leistung und Zufriedenheit, andererseits keine zwangsläufig statischen Größen, sondern sie verändern sich durch persönliche oder repräsentative (Personalvertretung), direkte (z.B. Verbesserungsvorschläge) oder indirekte (z.B. Fehlzeiten) Einflussnahme der Organisationsmitglieder.

Als Gegenstand der Organisationspsychologie können wir also in diesem erweiterten Sinn der gegenseitigen Einflussnahme die Frage nach den Zusammenhängen des Erlebens und Verhaltens bzw. Handelns des Menschen mit Struktur-, Prozess- und Zielcharakteristika von Organisationen auffassen: Wie wirkt sich die Kontextbedingung „Organisation“ auf menschliches Verhalten aus und was tragen psychologische Erklärungsvariablen zum Funktionieren und zum Verständnis von Organisationen bei? Dies sind die Kernfragestellungen der Organisationspsychologie und die Grundlage ihrer Gestaltungsbemühungen – beispielsweise der Veränderung von Arbeitstätigkeiten oder der Entwicklung von Qualifikationen und der Gestaltung von Beziehungen.

Mit welcher Art von Organisationen hat nun die Organisationspsychologie zu tun? Hier soll die pragmatische Feststellung genügen, dass grundsätzlich alle „strukturierten, zielorientierten, überdauernden sozialen Gebilde“ (wie eine spröde Minimaldefinition der Organisation lautet) Gegenstand organisationspsychologischer Betrachtung sind. Praktisch gesehen hat bisher allerdings ein großer Teil organisationspsychologischer Tätigkeit in Bezug auf Arbeits- und Leistungsorganisationen wie vor allem Wirtschaftsunternehmen stattgefunden.

Unter den Wirtschaftsunternehmen sind große Industriebetriebe und Dienstleistungsunternehmen häufiger Gegenstand empirischer Untersuchungen, seltener dagegen Gewerbebetriebe und kleinere mittelständische Unternehmen. Öffentliche Verwaltungen gehören prinzipiell zum Gegenstandsbereich der Organisationspsychologie, auch wenn sie bisher in geringerem Umfang zum Feld empirischer Forschung wurden. Aber wenn auch erst ein Teil der potenziellen Arbeitsfelder der Organisationspsychologie vollständig erschlossen ist, so zählen jedenfalls auch Schulen und Universitäten, Kirchen und Verbände, Krankenhäuser, Armeen und Freizeitorganisationen zum Objektbereich. Auch Beziehungen zwischen Organisation und Umwelt oder zwischen Arbeit und Freizeit beginnen zu Routinefeldern unserer Tätigkeit zu werden.

1.
Organisationspsychologie als angewandte Grundlagenforschung


Als Wissenschaft ist die Organisationspsychologie eine „angewandte“ Disziplin, d.h. eine solche, die ihre Problemstellungen vor allem in der praktischen Lebenswelt findet, auf die sie sich bezieht. Sie ist allerdings keine in Anwendung sich erschöpfende Disziplin, sondern sie ist an theoretisch-modellhaft formulierbaren allgemeinen Erkenntnissen orientiert und bedient sich hierfür der anspruchsvollsten verfügbaren Methoden, leistet zunehmend sogar eigenständige Beiträge zur Entwicklung von Forschungsmethoden, die dann auch in anderen Bereichen einsetzbar sind. Daher auch der Begriff „angewandte Grundlagenforschung“.

Die Breite des Fachs hat so stark zugenommen, dass wir uns in einer inhaltlichen Spezialisierung auch in den deutschsprachigen Ländern befinden, wie sie an nordamerikanischen Universitäten längst üblich ist. Dabei profitiert nicht nur die Organisationspsychologie von ihren Nachbarwissenschaften – z.B. den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften –, sondern kann auch ihrerseits nützliche Beiträge zur Weiterentwicklung dieser Disziplinen leisten. Als praktisches Berufsfeld findet die Organisationspsychologie seit den achtziger Jahren noch mehr Zuspruch als in der Wissenschaft. Nach Schätzungen des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen dürften derzeit mehr als 9000 Wirtschaftspsychologinnen und -psychologen in Deutschland aktiv sein, wobei hierzu allerdings auch ein (kleinerer) Anteil zählt, der im Bereich der Markt- und Konsumentenpsychologie tätig ist (vgl. Moser, 2015). Die Fachgruppe Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ist mittlerweile mitgliederstärker als die Fachgruppe Klinische Psychologie. In den Niederlanden übersteigt die Zahl der Absolventen mit dieser Studienspezialisierung die der klinisch orientierten Psychologen bereits seit längerem. In Wirtschaftsorganisationen ist die frühere Skepsis gegenüber der Psychologie (die vielleicht noch stärker den Psychologen galt als ihrem Fachgebiet) der Einsicht gewichen, dass sie wichtige eigenständige Beiträge leisten kann, um die wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Dem kommt eine wachsende Aufgeschlossenheit entgegen, Probleme nicht nur mithilfe von Technik und Finanzierung, sondern vor allem mit Menschen zu lösen – und zwar nicht nur dadurch, dass der Leistungsdruck erhöht wird, sondern indem Arbeit, Organisation, Strukturen und Prozesse menschengerecht gestaltet werden oder bleiben und Menschen befähigt werden, hohen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen gerecht zu werden, ohne überfordert zu sein.

Die Aufgaben berufspraktisch tätiger Organisationspsychologen gleichen den Arbeitsschwerpunkten ihrer Kollegen in der Forschung auf bemerkenswerte Weise. Auch hieran lässt sich ablesen, dass Wissenschaft und Praxis in der Organisationspsychologie eng aufeinander bezogen, in vielen Fällen gar nicht auseinanderzuhalten sind. Eine besonders große Zahl von Organisationspsychologen ist in der „Personalpsychologie“ tätig, also mit Fragen der Aus- und Weiterbildung, Personalentwicklung, Gewinnung und Auswahl von Mitarbeitern sowie Leistungsbeurteilung befasst. Andere beschäftigen sich mit der Analyse und Gestaltung von Arbeitsabläufen, speziell im Computerbereich, und tragen dazu bei, diese Tätigkeiten sowohl menschengerecht als auch produktiv zu gestalten. Führungstrainings und Organisationsentwicklungsmaßnahmen gehören bereits seit langem zu den Tätigkeitsbereichen der Organisationspsychologie. In nicht wenigen Fällen übernehmen Organisationspsychologen auch weitergehende Verantwortung, speziell im Personalwesen, die weit über ihr ursprüngliches Tätigkeitsgebiet hinausreicht.

Für die rapide wachsende Zahl praktisch tätiger Organisationspsychologen – bislang vor allem in Industriebetrieben und Dienstleistungsunternehmen, in Beratungsfirmen und als Selbstständige, zunehmend aber auch in Behörden und Verbänden – bedeutet dies, dass sie sich vielfältigen Möglichkeiten und hohen Anforderungen gegenübersehen. Die Aufgaben von Organisationspsychologen dürften zurzeit gerade in einem Maße definiert sein, das ihnen einerseits ausreichend Absicherung und Akzeptanz für die Erfüllung ihrer Aufgaben schafft, andererseits aber noch genügend Raum für innovative Gestaltung und Erweiterung ihrer Möglichkeiten lässt. Freilich bedeutet dies, dass sie sich die notwendige Anerkennung beständig durch Kompetenz und oft genug durch eigenes Vorbild zu verdienen haben.

Für die wissenschaftliche, noch mehr aber für die praktische Berufstätigkeit gilt, dass sich die Aufgaben selten als „rein psychologische“ stellen; deshalb wird jeder Organisationspsychologe gut daran tun, breite Erfahrung zu erwerben und sich auf die Kooperation mit Fachleuten anderer Disziplinen einzustellen. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, wie stark Organisationen als soziale...

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