Evaluation und Effekterfassung in der Psychotherapie

Evaluation und Effekterfassung in der Psychotherapie

von: Wolfgang Lutz, Rebekka Neu, Julian A. Rubel

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2019

ISBN: 9783840929120

Sprache: Deutsch

177 Seiten, Download: 2433 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Evaluation und Effekterfassung in der Psychotherapie



|1|Einführung


Ich denke, wenn man alle von uns ins Auge gefassten Veränderungen des Versorgungssystems zusammennimmt, nämlich

– die Ersetzung der Methodenorientierung in der Psychotherapie durch eine Patienten- und Erfolgsorientierung,

– die Einführung einer routinemäßigen Qualitätskontrolle,

– die Einführung einer therapievorgeschalteten Abklärung,

– und eine störungsorientierte Spezialisierung bei Aufrechterhaltung der Grundprinzipien psychologischer Therapie in unserem Sinne

könnte in der Psychotherapie ein sehr beträchtlicher Qualitätssprung erreicht werden. Das mag utopisch klingen, aber es ist doch wenigstens eine konkrete Utopie, denn im Prinzip wären alle vorgeschlagenen Schritte schon jetzt realisierbar.

(Grawe, 1998, S. 714)

Das obige Zitat umschreibt bereits das Ziel des vorliegenden Buches. In diesem Band werden dem praktisch arbeitenden Psychotherapeuten1 in komprimierter Form die Grundlagen zur Evaluation (im Zitat von Grawe als Erfolgsorientierung bezeichnet) von Psychotherapieverläufen anhand von Beispielen vermittelt und daneben Vorschläge für die eigene Umsetzung in der Routine gemacht. Das Buch ist auch insbesondere als Hilfe für Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung (PIAs) gedacht. Wir hoffen, dass es dazu beiträgt, angehenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ein wissenschaftlich gestütztes psychotherapeutisches Selbstverständnis zu vermitteln und damit ein selbstreflexives und selbstkritisches Arbeiten unterstützt. Nicht zuletzt können die Umsetzungsbeispiele auch als Hilfe für die Erstellung der eigenen Fallberichte unter Ergänzung von Evaluationsbefunden verstanden werden. Das Buch gibt ebenfalls eine Hilfestellung, wie entsprechende evaluative und diagnostische Maßnahmen nach EBM abgerechnet werden können.

In den letzten 40 Jahren hat sich die Psychotherapie zu einer etablierten Größe im Bereich der Gesundheitsversorgung entwickelt. Gerade in Deutschland sind die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen seit dem Psychotherapeutengesetz im Jahre 1999 sehr gut. Auch die Ausbildung, die angehende |2|Psychotherapeuten durchlaufen, weist im internationalen Vergleich hohe Standards auf. Der Weg zu dieser Etablierung der Psychotherapie wurde nicht zuletzt durch die empirische Psychotherapieforschung geebnet. Diese hat in zahlreichen Einzelstudien und Metaanalysen die Effektivität von Psychotherapie für unterschiedliche Therapieansätze und Störungsgruppen überzeugend nachweisen können. Darüber hinaus wurde durch vertieftes Wissen zur Psychopathologie die Entwicklung von neuen therapeutischen Prozeduren und Leitlinien angeregt und umgesetzt. Dennoch ist die Haltung im Feld der Klinischen Psychologie, Psychotherapie sowie der Psychiatrie sich einzig auf die eigene Intuition und einmal gelernte Verfahren zu verlassen sowie wissenschaftliche Ergebnisse und psychometrische Befunde zu ignorieren nach wie vor eher eingespielter Alltag und nicht die Ausnahme.

Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass psychologische Interventionen nach wie vor eine relativ junge Interventionsform im Gesundheitswesen darstellen und die wissenschaftlichen Grundlagen erst in den letzten 50 Jahren gelegt werden konnten. Dabei war lange Zeit im Bereich der Psychotherapieforschung die Frage nach dem optimalen Therapieverfahren der zentrale Forschungsgegenstand. Diese Orientierung auf den Nachweis der Effektivität bestimmter therapeutischer Verfahren hatte allerdings zur Folge, dass die weniger günstigen Verläufe häufig nicht gesondert betrachtet wurden. Es überwogen die Darstellung und Untersuchung von günstigen Behandlungsverläufen. Für die klinische Praxis ist der Umgang mit schwierigen Patientinnen und Patienten, für welche potenziell mit einem ungünstigen Therapieverlauf bzw. Therapieabbruch zu rechnen ist, jedoch von unmittelbarer Relevanz und es sind diese Fälle, die die Klinikerin bzw. den Kliniker im therapeutischen Alltag am stärksten herausfordern. Gerade im Bereich der empirisch gestützten Identifikation und Rückmeldung sowie des Umganges mit solchen schwierigen Patienten- bzw. Risikoverläufen wurden in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte gemacht, welche in diesem Buch dargestellt und praxisnah präsentiert werden. Übergeordnete Ziele dieser neuen Ansätze sind einerseits, Konzepte und Modelle zu einer spezifischen wissenschaftlichen Unterstützung von differenziellen Diagnoseentscheidungen zu entwickeln (wie z. B. ob die Therapiestrategie, der der Patient zugewiesen wurde, erfolgreich und kostengünstig ist). Andererseits sollen auf einer prozessualen Ebene auch adaptive Indikationsentscheidungen im Therapieverlauf verbessert werden (wie z. B. ob Therapeuten in der laufenden Behandlung Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen und in begründeten Fällen sinnvolle Um- bzw. Neuentscheidungen in der Therapie vorgenommen haben).

Eine solche Dynamisierung der Therapie hat ein hohes Potenzial. Andere Länder Europas, wie zum Beispiel Großbritannien, haben bereits Konsequenzen aus den entsprechenden Befunden gezogen, sodass dort bereits keine Therapie mehr ohne eine solche sitzungsweise Verlaufsrückmeldung stattfindet. Auf diese Weise können Therapeuten ihre Entscheidungen bei der prak|3|tischen Durchführung von Therapien (also ihrer Praxis) auf wissenschaftlich gewonnene Kriterien (also Evidenz) stützen, die ihrerseits aus der Praxis gewonnen wurden. Daher hat auch die American Psychological Association (APA) bereits vor 10 Jahren in ihrer „Presidential Task Force on Evidence-Based Practice“ mehr Forschung zur Wirksamkeit von entsprechenden Systemen in der Psychotherapie für besonders zukunftsweisend befunden. Die auf diese Weise in der Praxis gewonnen Daten zum Verlauf ambulanter Psychotherapien stellen auch einen Beitrag für die Forschung dar, da daraus zum Beispiel typische Veränderungsmuster extrahiert werden und auf der Basis bestimmter Patientencharakteristika Empfehlungen für die differenzielle und adaptive Indikation entwickelt werden können. Auch vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Heterogenität bzgl. der angebotenen Behandlungsmodalitäten sollte eine begleitende Evaluations- und Ergebnisorientierung integraler Bestandteil der therapeutischen Praxis sein. So geben viele Therapeuten an, in ihrer Arbeit nicht strikt nach Manual vorzugehen, und räumen darüber hinaus auch ein, sich in ihrer Praxis auch Strategien und Techniken aus dem Arsenal unterschiedlicher therapeutischer Orientierungen zu bedienen. Zum anderen kann man beobachten, dass sich immer neue Vorgehensweisen innerhalb der traditionellen psychotherapeutischen Schulen herausbilden und verbreiten, z. B. CBASP, ACT oder Schematherapie in der Verhaltenstherapie, oder z. B. Mentalisierungs-basierte Psychotherapien in der psychodynamischen Tradition. Viele Neuentwicklungen zeigen dabei einen Hang zur Etablierung immer neuer Gruppierungen mit eigenständigen Zertifikaten und Weiterbildungsmodulen. Für die meisten dieser neuen Entwicklungen gibt es aber wenig differenzielle Evidenz etwa im Vergleich zu den bereits etablierten Ansätzen. Umso mehr sind Methoden der Qualitätssicherung wichtig, welche engmaschig und objektiv den Fortschritt dokumentieren und damit eher einer Patienten- bzw. Ergebnisorientierung als einer Schulen-Orientierung verhaftet sind. Nicht der Behandlungsansatz und ein möglichst breiter therapeutischer Anspruch sind zentral, vielmehr erfolgt eine gezielte Identifikation und Analyse auch ungünstiger Entwicklungen mit dem Ziel die therapeutischen Möglichkeiten patientenorientiert zu optimieren. Dies erscheint uns ein klinisch und wissenschaftlich fruchtbarerer Ansatz zu sein als ein langer Streit um die bestmögliche therapeutische Schule. In diesem Sinne lässt sich das verstärkte Interesse an dieser Thematik auch als eine stärkere Professionalisierung der Psychologischen Psychotherapie verstehen. Dazu sind insbesondere auch neuere technische Hilfsmittel und Softwarelösungen in den letzten Jahren erarbeitet worden, welche ein leichteres Umsetzen in der Routine ermöglichen.

Die psychotherapeutische Aus- und Weiterbildung könnte daher bereits mit einer umfassenden Schulung der Ausbildungskandidaten in einer therapiebegleitenden Evaluation bzw. der Psychotherapieforschung einhergehen. Ein wesentlicher Baustein könnte dabei eine kontinuierliche Fortschrittsdoku|4|mentation der Ausbildungstherapien mittels psychometrischer Fragebögen darstellen. Gerade für Ausbildungskandidatinnen und Ausbildungskandidaten, die ihre ersten Therapien unter Supervision durchführen, kann ein Rückmeldesystem eine wertvolle Unterstützung für die...

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